von Dr. Thomas A Biland
Werte, Leitbilder und Führungsgrundsätze auf Webseiten und in Firmenbroschüren haben zum Ziel, Dritten – seien es Kunden, Lieferanten, Aktionären oder auch potentiellen Mitarbeitenden – ein positives Bild der eigenen Firma zu vermitteln. Dies ist löblich und verständlich. Gerade in Zeiten des Internets ist die optimale Positionierung im Netz sehr wichtig. So liest man in der Regel Sätze wie: ‘Ziel- und resultatorientiertes Führen ist die Grundlage für Eigenmotivation und bessere Ergebnisse’ oder ‘die Mitarbeitenden nach ihren Begabungen und den Kundenbedürfnissen fördern’ oder ‘gut informierte und motivierte Mitarbeitende sind selbständiger und leisten mehr’. Man könnte also meinen, dass somit alles gut ist und sich die meisten Unternehmen der Notwendigkeit einer nachhaltigen Führung bewusst sind. Doch weit gefehlt! Was man in täglichen Gesprächen mit KandidatInnen hört und erlebt, ist eine zusehende Verrohung der Umgangsformen, welche vermutlich auch in der wachsenden Überforderung vieler Führungspersonen begründet ist.
Aus der Sicht eines mit der Suche von Führungskräften und Fachspezialisten erfahrenen Unternehmensberaters ist in den vergangenen zehn Jahren seit der Finanzkrise eine beschleunigte Veränderung zu konstatieren: Zum einen stellen wir fest, dass auf Kandidatenseite ein verstärkt rein opportunistisches Verhalten Einkehr gehalten hat: Was nicht der unmittelbaren und zutiefst opportunistischen Zielerreichung dient, wird negiert – auch unter Verletzung der gängigen Anstandsregeln. Anderseits hören wir in Bewerberinterviews häufiger das Klagen über Micro-Management in der Unternehmensleitung, welche bei guten Mitarbeitenden wohl eher früher als später dazu führt, dass sie sich neu orientieren.
Einher geht diese Veränderung mit dem verstärkten Selbstmarketing vieler Spitzenführungskräfte, welchen man über Jahre eingeimpft hat, dass sie sich nach aussen mehr «verkaufen» müssten und letztlich «der Kopf des Unternehmens» seien. Dies hatte sicherlich seine Berechtigung. Doch während man früher von «tue Gutes und sprich darüber» sprach, ist mittlerweile ein Wald von Publikationen entstanden, der letztlich oftmals nichts anderes ist als Selbstdarstellung um der Selbstdarstellung willen; notabene immer auch im Interesse der publizierenden Presse. Gewisse Blätter scheinen sich mit gezieltem «name dropping with high resolution pictures» gegenseitig den Rang abzulaufen. Diese Symbiose nährt sich wechselseitig und führt bei einer nicht unerheblichen Anzahl von Managern zu einer Abgehobenheit, die ihnen und ihrer Zunft schlecht ansteht. Es ist nicht Aufgabe eines Managers, sich selber in den Mittelpunkt zu stellen und sich zu zelebrieren. Vielmehr trägt eine gute Führungskraft mit ihrem Team zur Zielerreichung bei, welche dem Unternehmen und idealerweise der Umwelt oder der Gesellschaft einen Mehrwert bringt. Hierfür wird sie entlöhnt, idealerweise auch respektiert. Dieser Respekt definiert misst sich an der erbrachten Leistung und nicht an der falsch verstandenen Selbstprofilierung des Managers.
Narzisstische Persönlichkeiten scheinen in der heutigen Ära leider allgegenwärtig – ihr huldigt auch die «sogenannt seriöse Presse». Politiker wie Trump dienen solchen Selbstdarstellern als Bestätigung. Und so führt sich der Narzisst in den Unternehmen auch auf: selbstverliebt, alles wissend bis tief in die Organisation und oftmals umgeben von einer Clique von hoffärtigen Jasagern. Solange die Zahlen stimmen, ist kein Preis zu hoch. Widerspruch wird schroff parkiert oder entsorgt. Doch dies könnte sich eines Tages rächen, denn mit solchem Verhalten ist eine zusehende Verschlechterung der Mitarbeiterbefindlichkeit und damit der Unternehmenskultur verbunden. Solange Führung und Organisation in vielen grösseren Firmen darin besteht, Prozesse aufzuteilen, Taylorismus zu kultivieren und jeden ersetzbar zu machen, ist vermutlich keine Besserung in Sicht. Der Preis graduell sinkender Loyalität auf Mitarbeiter- und manchmal auch Kundenseite mag man bis zu einem gewissen Punkt wegstecken – bis dorthin, wo es vermutlich nachhaltig schädlich ist. Die Umkehr zurück zu ethischen Werten wird danach mühsam und langwierig sein. Denn das zunehmend opportunistische Verhalten im Markt ist das Resultat dessen, was Arbeitnehmer und Bewerber von den Narzissten in den Führungsetagen vorgelebt erhalten.
Es ist zu hoffen, dass sich diese ungesunde Entwicklung bald normalisiert, denn es gibt genügend überzeugende Spitzenmanager, welche durch ihre Energie und Persönlichkeit erfolgreich – sprich menschlich und weitsichtig – führen. Hier sind die Verwaltungsräte gefordert, denn letztlich sind sie es, welche durch die Wahl der obersten Führungsebene entscheidenden Einfluss auf die Unternehmenskultur haben. Mehr Mut zu einem Wechsel im Top-Management stünde ihnen gut an. Es ist Zeit dazu, denn Veränderungen sind überfällig.