Reorganisationen – zeitgemäss, alltäglich und nicht selten missbräuchlich
By Sabine Biland-Weckherlin
«Das Arbeitsverhältnis mit Herrn X wird aufgrund einer Reorganisation des Departements Y aufgelöst.» Dabei handelte es sich um eine Kündigung eines mehrjährigen Arbeitsverhältnisses in einem sechsköpfigen Team eines KMU. Von Reorganisation keine Spur – vielmehr ging es darum, im Zuge einer Neubesetzung im Departement auch gleich Herrn X auf einfache Weise zu ersetzen.
Getreu der Redewendung «Zwei Fliegen auf einen Schlag» sah der Vorgesetzte eine günstige Chance, sich Herrn X zu entledigen, weil er offenbar den veränderten Ansprüchen der Aufgabe respektive des Marktes nicht mehr genügte. Dies ist nur ein Beispiel aus einer Vielzahl ähnlich lautender Phrasen, die sich mittlerweile schon fast standardmässig in den Zeugnissen unserer BewerberInnen aller Couleur finden lassen.
Nichts gegen den Strukturwandel, wo dieser wirtschaftlich angezeigt ist. Es gibt zweifelsohne gute Gründe, Kündigungen auszusprechen – sei es aufgrund von Kostendruck, Firmenfusionen, -verlagerungen oder -verkäufen oder ganz einfach, weil der besagte Mitarbeitende die geforderte Leistung nicht mehr erbringt. Stossend empfinde ich die vermeintlich politisch korrekte Verpackung von Auflösungen eines Arbeitsverhältnisses im Zuge von «Reorganisationen», die den Begriff nicht verdienen.
Aus den Schilderungen Betroffener geht hervor, dass unter dem Deckmantel von Stellenabbau – egal ob deklariert als Sparmassnahmen, Sanierungen, Umstrukturierungen, Reorganisationen oder Turnaround – gelegentlich willkürliche Kündigungen ausgesprochen werden, die einen anderen Zweck als eine primär wirtschaftliche Entlastung verfolgen. Die angebliche Strukturbereinigung ist nicht selten eine willkommene, unter dem Spardruck vorgetäuschte Legitimation, sich unliebsamer Mitarbeitender zu entledigen. Zum Beispiel weil zu aufmüpfig, zu stark oder zu alt. Es ist möglich und gar salonfähig geworden, heikle Kündigungsgründe, welche die Firma möglicherweise rechtlich in Erklärungsnotstand gebracht hätten, neutral zu verpacken. Denn viel einfacher und sauberer als eine Kündigung lässt sich eine Umstrukturierung vorgeben: Sie ist eine wetterfeste, pauschale Erklärung, die inhaltlich von den Betroffenen nicht angegriffen werden kann.
Kommt ein neuer Chef, ist eine Reorganisation ohnehin oft zwingend: Es gilt, ein markantes Exempel zu statuieren. Auf dem Buckel der Mitarbeitenden werden Zeichen gesetzt und wird neues Personal rekrutiert oder die Crew des Vorgängers gleich vollständig auswechselt. So erzählte mir ein Kadermitarbeiter einer Bank von seinem Stellenverlust unter dem Vorwand der internen Restrukturierung. In Tat und Wahrheit nutzte sein neuer, von einer Grossbank kommender, Vorgesetzter nur die Gelegenheit, seine früheren Arbeitskollegen an Bord zu holen.
Auf diese Weise lassen sich unerwünschte Exponenten aus der Erbmasse des Vorgängers elegant auswechseln. Sparübungen werden zu oft zum Vorwand genommen, um nicht primär Stellen abzubauen, sondern sich von teils altgedienten Mitarbeitenden zu trennen, die man aus dem einen oder anderen Grund loswerden möchte. Was die angeblichen Reorganisationsopfer nicht wissen: Während sie noch unter dem Schock des oft unerwarteten Stellenverlusts zur Hintertüre hinaus in die Arbeitslosigkeit spediert werden, stehen ihre möglicherweise handzahmeren oder jüngeren Nachfolger bereits vor dem Haupteingang. Eine Kandidatin sprach bitter von «Abfallbeseitigung». Solche Vorgehen verletzen das Prinzip von Treu und Glauben – die Belegschaft wird zum Spielball des Managements.
Stellenkürzungen an der Basis im Zuge der überzogenen Gewinnmaximierung scheinen mir nicht weniger verwerflich. Man denke nur an jenen Schweizer Konzern, der sich – unter Erfolgszeitdruck – die Gunst der Analysten und Aktionäre sicherte, basierend auf einem überraschend positiven Halbjahresergebnis durch einen massive Kostenreduktion respektive einen einschneidenden Stellenabbau. Erwartungsgemäss schnellten die Aktienkurse sofort in die Höhe. Den auf dem Reissbrett eliminierten Mitarbeitenden ist dies hingegen kein Trost.
Reorganisationen sind leider zum Allerweltsbegriff des 21. Jahrhunderts verkommen: Unter dem Dekret der Gewinnmaximierung bleibt häufig kein Stein auf dem anderen – ein Sparpaket jagt das nächste und damit einher geht eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Dass im Fahrtwind dieser unheilvollen Tendenzen auch Kündigungen als Strukturbereinigung vorgetäuscht werden, dünkt mich ebenso bedenklich wie ausgewiesene Firmenhöhenflüge auf Kosten entlassener Mitarbeitender. Dass die moralische Hemmschwelle in unserer Gesellschaft insgesamt gesunken und der gegenseitige Umgang rüder geworden ist, leistet dieser unguten Tendenz leider auch keine Abhilfe. Insofern ist dieser Blogbeitrag lediglich ein Appell an die Entscheidungsträger unserer Firmen, der Würde ihres Humankapitals wieder ein wenig mehr Bedeutung zukommen zu lassen.