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Herbst-Apéro 2023: Der Wert der Arbeit

Ob aus philosophischem, rechtlichem oder wirtschaftlichem Blickwinkel: Die Bedeutung von Arbeit unterliegt einem stetigen Wandel und lässt sich nicht in eine Schublade stecken. Die diesjährige Debatte zeigt auf, weshalb ein Umdenken in der Arbeitswelt unumgänglich ist.

Von Bernie Tewlin, November 2023

Pünktlich – wie könnte es in der Schweiz anders sein – eröffnet Dr. Thomas A. Biland den diesjährigen Herbst-Apéro in einem gut gefüllten Metropol-Saal in Zürich. Nach einer kurzen Vorstellung unserer neuen Consultants, Laura Pohl und Melvin Steiner rückt der Moderator ohne Umschweifen das diesjährige Thema in den Fokus. In einem sich laufend verändernden Arbeitsmarkt drängt sich die Rückbesinnung zu den Werten förmlich auf.

Die Publikumsfrage zu Beginn – «Leben Sie, um zu arbeiten?» oder «Arbeiten Sie, um zu leben?» – wird erstaunlicherweise sehr ausglichen mit 50/50 beantwortet.

Unsere diesjährigen Podiumsgäste

Dr. phil. Katja Gentinetta, selbständige Publizistin und Universitätsdozentin mit langjährigen, strategischen Führungsfunktionen in Kultur, Politik und Wirtschaft

Dr. iur. Esther Girsberger, MBA Uni St. Gallen, Publizistin und Ombudsfrau der SRG Deutsche Schweiz

Michèle Stutz, LL.M, Partnerin und Mitglied der Geschäftsleitung bei MME Legal Tax Compliance, Fachanwältin SAV Arbeitsrecht

Dr. rer. pol. Boris Andreas Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit, Mitglied der GL im Staatssekretariat für Wirtschaft SECO

Moderation: Dr. Thomas A. Biland

Teil I: Bedeutung und Wertigkeit der Arbeit

Thomas: Katja, wie siehst du den Begriff Arbeit und deren Wert?

Katja: Der Begriff «Arbeit» gehört in jeder Sprache zu den Grundbegriffen der menschlichen Existenz, und überall wird er mit Mühsal, Anstrengung und Notwendigkeit assoziiert. In der Antike war körperliche Arbeit allein Sache der Sklaven, die freien Bürger sollten sich der Musse widmen können. Seit der Industrialisierung beherrscht das Verhältnis von Mensch und Maschine und damit der Wert der menschlichen Arbeit den Diskurs. Heute wird der Begriff des New Work herumgereicht. Tatsache ist, dass Arbeit den Menschen das Gefühl gibt, gebraucht zu werden und nützlich zu sein. Allein schon deshalb macht Arbeit Sinn. 

Thomas: Was ist mit New Work?

Katja: New Work halte ich für eine Illusion. Es ist eine Utopie, die die Arbeit im Kollektiv beschwört, die Selbstversorgung durch Ackerbau und darüber hinaus, falls notwendig, sinnstiftende Gemeinschaftsarbeit. Meines Erachtens ist Effizienz durch Arbeitsteilung der Schlüssel. Ganz abgesehen davon wird Arbeit dann schmerzlich vermisst, wenn sie fehlt – durch Arbeitslosigkeit oder im Ruhestand. Die Arbeit zu verdammen, wäre also falsch.

Thomas: Wie erleben die anderen Podiumsgäste dies?

Esther: Wir hier im Saal sind privilegiert. Die Arbeitswelt ändert sich ständig, beeinflusst von Markt und individuellen Vorlieben. Freitag und Montag sind heute oftmals Freizeit. Die Frage nach Lohnarbeit hat sich stark gewandelt in einer sich verändernden Gesellschaft.

Michèle: In meiner täglichen Beratung erlebe ich oft den Wert der Arbeit, besonders wenn sie plötzlich fehlt, etwa bei Kündigungen mit Freistellung. Die Stärkung des Selbstwerts und Gemeinschaftsgefühls durch Arbeit ist unbestreitbar. Rechtlich wird der Wert oft auf Lohn und Bonus reduziert, mit Verhandlungsfreiheit, die durch gesetzliche Schranken wie dem GlG (gleicher Lohn für die verschiedenen Geschlechter) und Mindestlöhne begrenzt ist. Diskussionen über übermässige Vergütungen, wie bei der Minder- oder 1:12-Initiative, und Gerichtsentscheidungen zur angemessenen Vergütung sind relevante Aspekte. In Bezug auf Handelsreisende mit Entlöhnung auf Provisionsbasis sprach das Bundesgericht von einer «zufriedenstellenden, anständigen Lebensführung» – wiederum ein dehnbarer Begriff.

Boris: Ich habe eine Lehre absolviert. Nach 8 Stunden hinter dem Zeichnungsbrett, musste ich aufpassen, nicht selbst ein Brett vor dem Kopf zu haben (Augenzwinkern). Dadurch habe ich früh gelernt, dass ich für mein Leben und ein Einkommen arbeiten muss. Aus ökonomischer Sicht ist Arbeit essenziell für soziale Gerechtigkeit und das Bruttoinlandsprodukt. Sie ist nicht lagerbar wie Kapital und deshalb ein einzigartiger Produktionsfaktor.

Die nächsten 20 Minuten der Diskussion sind geprägt vom gesellschaftlichen Einfluss auf Arbeit und Wertigkeit. Von den Podiumsgästen wird konstatiert, dass in industrialisierten Ländern Menschen zwischen Auskommen, Einkommen und Sinn wählen können. Status und Vergleiche spielen eine Rolle, während die Definition von wertorientierter Arbeit sich ändert. Der demografische Wandel beeinflusst die Arbeitswelt, und Sinnhaftigkeit gewinnt an Bedeutung. Der Wohlstand ermöglicht Freizeit, doch junge Menschen streben auch nach gerechter Entlohnung und Wert in ihrer Arbeit. Die Rolle der Frau im Arbeitsprozess und die Veränderungen in der Haushaltsarbeit werden ebenfalls diskutiert und beeinflussen die Entscheidung für Karriere und Einkommen.

Teil II: Was hat sich verändert bezüglich der Sinnhaftigkeit der Arbeit und welches sind die Konsequenzen für die Zukunft

Thomas: Früher galt der Spruch: «Seid ihr jemand oder nehmed ihr Lohn?»

Katja: Dieser ist nicht mehr aktuell. Die Ansicht von Schumpeter – Counterpart von Marx – war bereits 1835, dass jeder Mensch ein Wirtschaftssubjekt ist und tagtäglich zahlreiche ökonomische Entscheidungen trifft. Ergo werden Freizeit und die Frage, wie viel Geld man zum Leben braucht wichtiger. Erstaunlich wie sich dieser Faktor durch den Wohlstand bewahrheitet hat. Zudem gewinnt die Sinnfrage an Bedeutung, da die nächste Generation global aufwächst und ein Bewusstsein für den weltweiten Einfluss entwickelt.

Im Weiteren sind sich die Podiumsgäste mehrheitlich einig, dass die Arbeitswelt tiefgreifende Veränderungen erfährt. Frühere Generationen lebten mit dem Bild, dass Arbeit rund um die Uhr stattfindet. Doch die jüngere Generation hinterfragt dieses Konzept und strebt nach einem ausgewogeneren Leben. Neue Arbeitsformen wie die Gig Economy, Selbstständigkeit und Start-ups prägen die moderne Arbeitslandschaft. Dabei spielt Flexibilität eine Schlüsselrolle. Teilzeitarbeit wird immer beliebter, nicht nur aus familiären Gründen, sondern auch, um Sinn und Freizeit in den Fokus zu rücken. Die Politik steht vor der Herausforderung, soziale Sicherheit und neue Arbeitsformen in Einklang zu bringen. Die Schweiz verzeichnet eine steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen und eine Vielfalt an Arbeitsmodellen. Die Definition von Führung ändert sich ebenfalls. Homeoffice und flexible Arbeitszeiten gewinnen an Bedeutung, bringen jedoch auch Herausforderungen mit sich, wie etwa die Aufrechterhaltung der Arbeitsqualität. In dieser sich wandelnden Welt ist es entscheidend, einen ausgewogenen Ansatz zu finden, der sowohl den Bedürfnissen der Arbeitnehmenden als auch den Anforderungen der Wirtschaft gerecht wird. Die Zahlen unterstreichen diese Entwicklungen und zeigen, dass ein Umdenken in der Arbeitswelt notwendig ist.

Teil III: Karriere und Materialismus

Thomas: Früher bedeutete Karriere ein grösseres Bankkonto, ein repräsentatives Auto, der Titel auf der Visitenkarte – und heute? Wie wird der Wert der Arbeit wirklich gemessen?

Michèle: Blicken wir auf das Ausländerrecht. Das Einholen einer Arbeitsbewilligung für Drittstaatler ist umso leichter, je höher der Lohn ist. Hier deutet die Höhe des Lohnes also klar auf den Wert der zu erbringenden Arbeit hin, d.h. je höher der Lohn, umso rarer die:der Arbeitnehmende auf dem Job-Markt. 

Thomas: Was würdet ihr machen, wenn ihr in Bezug auf den Wert der Arbeit etwas ändern könntet? 

Michèle: Einen generellen Mindestlohn einführen.

Boris: In der Schweiz die Menschen ärmer machen, dann müssten sie mehr arbeiten.

Katja: Die Anreize scheinen ausgereizt.

Esther: Im Gegensatz zu früher gibt es viel mehr Optionen in privilegierten Berufen. Deshalb ist eine frühzeitige Diskussion über die persönlichen Werte und Prioritäten wichtig. Einer meiner Söhne interessiert sich für Karriere und Geld, der andere möchte vielmehr einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Die heutigen Optionen konditionieren die Arbeitnehmenden auf die Wertefrage: Was ist mir wirklich wichtig? Auf was kommt es an?

Die abschliessenden Fragen aus dem Publikum zeigen, dass die Bedeutung der Arbeit eng mit dem persönlichen Wohlbefinden verbunden ist. Bei der Wahl des Arbeitgebers spielen individuelle Werte und Ethik eine entscheidende Rolle, sei es in öffentlichen Institutionen oder in privaten Unternehmen. Traditionelle Berufe wie Schreiner oder Sanitärinstallateur haben teilweise an Wert verloren, und es wird immer schwieriger, Menschen für diese Berufe zu gewinnen. Weiter ist die Anerkennung am Arbeitsplatz zentral und treibt den gesellschaftlichen Fortschritt voran. Eine gute Führung und ein positives Arbeitsklima sind unerlässlich in Bezug auf die Arbeitszufriedenheit.

Thomas: Einen herzlichen Dank an die Podiumsteilnehmenden. Ebenfalls gebührt ein grosser Dank Pamela Wolf und Daniela Steiner für die Organisation und insbesondere Sabine Biland-Weckherlin für die Prägung der Inhalte und Auswahl der Referent:innen in den letzten 15 Jahren.

 

Anmerkung des Autors: Der Abend war nach dem Podium längst nicht zu Ende und mündete in engagierten und tiefergreifenden Gesprächen zum «Wert der Arbeit». Dies war nicht zuletzt dem feinen Apéro Riche und dem sprudelnden Wein zu verdanken.

Disclaimer: Dieser Text wurde mit Unterstützung von KI (künstlicher Intelligenz) erstellt.

Save the date: Der nächste Herbst-Apéro findet am Montag, 4. November 2024 statt.