Ü50: Zu alt, zu teuer? Weder noch!
Der einst vorherrschende Jugendwahn auf dem Arbeitsmarkt weicht einer neuen Wertschätzung für die Erfahrung, das Fachwissen und die Perspektiven, die ältere Mitarbeitenden ins Unternehmen bringen. Das hat auch, aber nicht nur, mit dem Fachkräftemangel zu tun.
By Gisela Schiewe, Juli 2023
In den vergangenen Jahrzehnten war der Schweizer Arbeitsmarkt von einem regelrechten Jugendwahn geprägt. Arbeitnehmende über 50 – und teilweise auch schon ab 45 – sahen sich mit Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert und hatten Schwierigkeiten, eine Anstellung zu finden oder beruflich voranzukommen.
60 ist das neue 50
In jüngster Zeit haben sich die Jobchancen von Ü50-Arbeitnehmenden verbessert. Wäre es vor zehn Jahren fast unvorstellbar gewesen, mit 55 noch einen neuen Job zu finden, liegt die «kritische Grenze» heute bei 58 bis 60 Jahren. Dies zeigt eine Studie des Beratungsunternehmens Rundstedt und des Fachmagazins «HR Today».
Dies bedeutet nicht, dass der Schweizer Arbeitsmarkt nun frei von Altersdiskriminierung ist. Laut der Studie ist es für über 58-Jährige nach wie vor anspruchsvoll, eine neue Stelle zu finden. Und in Branchen wie der Gastronomie und Hotellerie sowie im Konsumgüterbereich und im Detailhandel liegt die «kritische Grenze» mit 50 bis 52 Jahren noch immer um einiges tiefer.
Trotzdem ist die höhere Nachfrage nach Mitarbeitenden über 50 eine erfreuliche Nachricht. Zu verdanken ist sie einerseits dem Fachkräftemangel, andererseits der Tatsache, dass Erfahrung als Wert auf dem Arbeitsmarkt wieder mehr zählt.
Fachkräftemangel führt zu Umdenken
Der Fachkräftemangel ist für Unternehmen aktuell eine der grössten Herausforderungen und betrifft viele Branchen weltweit. Auch in der Schweiz kämpfen Unternehmen darum, qualifizierte Leute zu finden, die die wachsenden Anforderungen der Arbeitswelt erfüllen können. Der Fachkräftemangel hat verschiedene Ursachen, darunter demografische Veränderungen oder die schnelllebige technologische Entwicklung und den sich wandelnden Arbeitsmarkt.
In Zeiten des Fachkräftemangels können es sich Unternehmen nicht leisten, Mitarbeitende aufgrund einer nichtssagenden Zahl auszusortieren. Sie sind gezwungen, umzudenken. Dadurch öffnen sich auch Türen für Mitarbeitende ab 50.
Der Fachkräftemangel ist aber nicht der einzige Grund für die neue Altersfreundlichkeit. Unternehmen scheinen auch zunehmend zu erkennen, welchen Mehrwert ältere Arbeitnehmer mit Ihrer Erfahrung, ihrem Fachwissen und ihren Perspektiven ins Unternehmen bringen.
Ü50 ist nicht gleich teuer
Bei Novartis Schweiz sind die über 55-jährigen im Vergleich zu den unter 35-jährigen Mitarbeitenden gar in der Überzahl, heisst es in einem SRF-Tagesschau-Bericht. Auch Novartis-Personalchef Thomas Bösch begründet die neue Altersfreundlichkeit nicht nur mit dem Fachkräftemangel, sondern bestätigt, dass Unternehmen mittlerweile auch die Erfahrung von älteren Mitarbeitenden wieder schätzen.
Einer der über 55-Jährigen ist Peter Huber. Er ist Public-Affairs-Chef bei einem Schweizer Ableger von Novartis. Er hat in seinen 50ern gleich mehrmals die Stelle gewechselt. Zuletzt mit 58. Man müsse auch Kompromisse eingehen: «Man ist sich ja in seiner beruflichen Karriere gewohnt, dass man in jungen Jahren, wenn man eine Stelle wechselt, oft einen Salärsprung machen kann. Das ist in höherem Alter nicht mehr möglich.»
«Alt» bedeutet also nicht automatisch teuer. Das bestätigt auch Personalchef Thomas Bösch: «Ältere Mitarbeitende sind in den Sozialabgaben teurer. Aber da gibt es meistens auch eine kürzere Einarbeitungszeit und eine breitere Einsatzmöglichkeit.» Damit seien die Mehrkosten im Sozialbereich eigentlich ausgeglichen.
Dank Ü50 Know-how im Unternehmen behalten
Auch andere Unternehmen haben den Wert von älteren Mitarbeitenden erkannt. Um sie im Unternehmen zu behalten – auch über die Pensionierung hinaus –, ergreifen manche von ihnen gezielte Massnahmen.
Die Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit ermöglicht es älteren Mitarbeitenden, ihren Erfahrungsschatz weiterhin einzubringen, während sie gleichzeitig mehr Freiraum für ihre persönliche Lebensgestaltung haben. Die Swisscom hat beispielsweise speziell für ältere Mitarbeitende ein Modell zur Teilzeit-Pensionierung entwickelt, das einen gestaffelten Ausstieg aus dem Berufsleben erlaubt.
Die Migros bietet Ü50-Mitarbeitenden verschiedene flexible Arbeitsmodelle an. Mitarbeitende können zum Beispiel im Rahmen der Altersteilzeit ihr Pensum reduzieren oder in eine andere Funktion wechseln. Mit einem umfassenden Lern- und Gesundheitsangebot will die Migros Ü50-Mitarbeitenden ausserdem die Möglichkeit geben, ihr Wissen aufzufrischen oder Belastungen im Alltag und im Arbeitsleben vorzubeugen.
Auch individuelle Projektarbeit kann ein Weg sein, um ältere Mitarbeitende gezielt für Aufgaben und Projekte einzusetzen, bei denen ihre Erfahrung besonders gefragt ist. Das Technologie- und Dienstleistungsunternehmen Bosch gründete bereits 1999 eine Tochtergesellschaft, die pensionierte Mitarbeitende für zeitlich befristete Beratungs- oder Projektaufgaben in den Konzern vermittelt. Heute umfasst der Pool von sogenannten Seniorexperten weltweit rund 1700 Personen.
Mit 65 noch einmal durchstarten? Auch das ist möglich!
Das Lebensalter ist nur eine Zahl. Umso besser, wenn diese Erkenntnis auch im Arbeitsmarkt ankommt. Und umso mehr wollen wir auch Menschen ab 50 ermutigen, positiv, optimistisch und selbstbewusst zu bleiben. Dass sich das lohnt, kann ich aus eigener Erfahrung berichten.
Mit 54 Jahren habe ich bei einem grossen internationalen Headhunter gestartet und war dort 11 Jahre lang als «Senior Research Associate» tätig. Danach, mit 65, wäre ich eigentlich in die Pensionierung gegangen. Für mich selbst stimmte aber der Zeitpunkt nicht. Deshalb habe ich mich aktiv auf dem Markt umgeschaut – und fand: da professionals.
Mit der 60-Prozent-Festanstellung bei da professionals hat es schnell geklappt. Sicherlich hat mir der Fachkräftemangel in die Hände gespielt und ich hatte das Glück, dass die Geschäftsleitung das Research-Team vergrössern wollte. Sie schätzte auch mein langjähriges Know-how im Bereich Executive Search und wusste, dass ich ohne lange Einarbeitungszeit direkt in meiner Position starten würde. Schlussendlich war aber meine Persönlichkeit und die Passung zum Team ein sehr wichtiges Entscheidungskriterium.
Seit April 2022 bin ich für da professionals als «Senior Research Associate» tätig. Es passt für beide Seiten und für mich gilt hier der Satz «Das Beste kommt zum Schluss».