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Die Schweiz sieht rot – Equal Pay Day 2022

Aus dem Archiv, von Stefanie Schnelli

Am 20. Februar ist Equal Pay Day. Der Tag thematisiert, dass Frauen für gleiche Arbeit weniger verdienen als Männer. Der Grund dafür können ein kleinerer Lohn, schlechtere Aufstiegschancen oder die Branche selbst sein. Denn in Berufen, in denen vor allem Frauen tätig sind, ist das Lohnniveau oft tiefer.

Nicht alles, was wir heutzutage als selbstverständlich betrachten, ist es auch. Wohl kaum eine Frau und auch kein Mann würden es gutheissen, wenn für die gleiche Arbeit nicht der gleiche Lohn bezahlt wird. Beide würden es als unfair empfinden, wenn der andere bei gleicher Leistung mehr bekommt. Der Betrogene – und im besten Fall auch der Bevorzugte – würde sich zur Wehr setzen.

Doch meist ist die Sachlage nicht so eindeutig. Der ältere Kollege hat mehr Erfahrung, der jüngere eine bessere Ausbildung, und schon ist ein direkter Vergleich schwierig. Lohnungleichheit offenbart sich in den seltensten Fällen, indem ein identisch ausgebildeter und erfahrener Kollege beim Mittagessen ausplaudert, dass er im Monat 500 Franken mehr als sein Gegenüber verdient. Aber die Forschung in der Schweiz zeigt klar: Lohnungleichheit existiert, und in den meisten Fällen sind Frauen betroffen.

Minus in der Tasche

Laut dem Bundesamt für Statistik verdienten Frauen 2018 in der Privatwirtschaft 19,6 Prozent weniger als Männer. 2012 waren es in der gleichen Erhebung nur 18,9 Prozent gewesen. Das Lohngefälle hat sich also vergrössert. Ein Teil des Gefälles ist durch die Ausbildung, das Verantwortungsniveau oder das Alter erklärbar. Doch auch bei gleichwertigem Profil, heisst es in der Medienmitteilung zur Studie, verdienen Frauen weniger. Der Anteil der unerklärten Lohndifferenz liegt bei rund 44,3 Prozent.

Isabell Rüdt-Robert ist diese Ungerechtigkeit ein Dorn im Auge. «Selbst zehn Prozent Differenz wäre noch zu viel», findet sie. Die Finanzexpertin ist Geschäftsführerin von Business and Professional Women (BPW) Switzerland, der Verband hat hierzulande den Equal Pay Day ins Leben gerufen. Am 20. Februar wird in der ganzen Schweiz mit Infoständen, roten Taschen und verschiedenen Veranstaltungen auf das Thema Lohnungleichheit aufmerksam gemacht. «Die roten Taschen symbolisieren das Minus, das viele Frauen im Portemonnaie haben», erklärt Rüdt-Robert. Auch das Datum selbst ist ein Statement: Erst am 20. Februar haben Frauen den gleichen Lohn auf dem Konto wie ihre männlichen Kollegen bereits am 31. Dezember des Vorjahres.

Die unerklärliche Differenz zwischen Frauenund Männerlöhnen basiert auf drei Arten von Diskriminierung. «Wir unterscheiden zwischen Lohndiskriminierung, also einem tieferen Lohn für gleiche Arbeit, Hierarchiediskriminierung, womit gemeint ist, dass Frauen an gewisse Positionen schwerer herankommen als Männer, und Branchendiskriminierung», zählt Rüdt-Robert auf. Letzteres umschreibt die Tatsache, dass die Löhne in typischen Frauenberufen wie Primarlehrerin oder Fachfrau Gesundheit tiefer sind als in vergleichbaren Jobs, die auch viele Männer ausüben. «Das kann im Laufe des Lebens sehr ins Geld gehen», sagt die BPW-Geschäftsführerin und macht auf ein Beispiel von der Website des Equal Pay Day aufmerksam: Eine junge Krankenschwester hat am Ende ihres Berufslebens rund eine halbe Million Franken weniger verdient als ihr Freund, der Polizist ist. Fair? Wohl kaum.

Auch die Assistenz ist ein typischer Frauenberuf. Ist deshalb das Lohnniveau zu tief? «Ich kenne die Löhne nicht im Detail, aber ich kann es mir vorstellen», sagt Isabell Rüdt-Robert.

Der Mann als Ernährer

Helena Trachsel, Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung von Mann und Frau des Kantons Zürich, schlägt in die gleiche Kerbe. «Meist erhalten zudienende Jobs und solche, die für das Unternehmen nicht direkt Geld generieren, in der Gesellschaft weniger Wertschätzung und damit weniger Lohn. Wir beobachten, dass das nicht nur auf Pflegeberufe beschränkt ist, sondern sich in geisteswissenschaftlichen Bereichen mit vielen Frauen fortsetzt.» Den Grund dafür sieht sie vor allem in der Gesellschaft. «Es hat noch kein Umdenken stattgefunden. Männern wird nach wie vor die Ernährerrolle zugeschrieben, und Frauen wählen Berufe, in denen sie kaum überlebensfähig sind.» Studien zur Berufswahl bestätigen die Theorie der Geschlechterstereotypen. Von 258 möglichen Berufen wählen 75 Prozent der Mädchen die immer gleichen elf aus. 75 Prozent der Buben erweitern ihr Spektrum immerhin auf 28. Diese Rollenverteilung manifestiere sich in der Kindheit, erklärt Trachsel mit dem Assistenz-Beispiel: «In den meisten Familien organisiert die Mutter alles. Sie schaut, das alle zur rechten Zeit am rechten Ort sind, denkt an die Geburtstage und kümmert sich um die Post.»

Trachsel findet es wichtig, dass Frauen sich dieser Bilder bewusst sind und sich immer wieder über ihre Laufbahn Gedanken machen. «Die Karriereplanung liegt in der Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Die Assistenz ist tendenziell eine Sackgasse. Aufstiegsmöglichkeiten sind rar. Das gilt es sich vor Augen zu halten.» Sie empfiehlt, auch andere Interessen und Fähigkeiten weiter zu verfolgen und sich eventuell sogar ein zweites Standbein aufzubauen. «Man kann auch als glückliche, 40-jährige Assistentin innehalten und sich überlegen, ob der Beruf für die nächsten 20 Jahre noch passt oder ob andere Talente vielleicht zu wenig ausgelebt werden.»

Zu selbstbewusst

In der oben erwähnten Studie des Bundesamtes für Statistik werden die Löhne von Frauen und Männern in einzelnen Berufssparten verglichen. Der Assistenz am nächsten ist die Rubrik «Allgemeine Büro- und Sekretariatskräfte». Die Ergebnisse zeigen, dass Männer auch hier mehr verdienen als Frauen. Über alle Altersgruppen hinweg verdient eine Frau im Schnitt 6157 Franken, ihr männlicher Kollege aber 7131 Franken.

«Die Kategorie vereint wahrscheinlich sehr unterschiedliche Jobprofile», sagt Ute Barnickel. «Wir hatten bisher keinen Bewerber, der nur aufgrund der Tatsache, dass er ein Mann ist, mehr verdient als eine Frau in vergleichbarer Funktion.» Barnickel hat schon Assistentinnen mit einem Jahreseinkommen von brutto 140’000 Franken vermittelt. «Das ist aber selten.» Dass das Lohnniveau bei Assistentinnen grundsätzlich zu tief ist, findet sie nicht. Im Gegenteil: «Ich habe im Moment eher das Gefühl, dass Erfahrungshintergrund und Kompetenzprofil nicht immer im Einklang mit den Lohnforderungen stehen.» Wenn eine Assistentin an ihrer aktuellen Stelle 90’000 Franken verdiene, könne sie im neuen Job nicht Forderungen von 110’000 Franken oder mehr stellen. Wie hoch der Lohn sei, hänge von der Branche, der Grösse des Unternehmens, dem Standort sowie dem Jobprofil und dem Verantwortungsbereich ab. «Allein die Feststellung, dass eine Kollegin ebenfalls diesen Lohn erhalte, zählt nicht.»

Für einen Lohn von rund 120’000 Franken wird viel erwartet: fundierte, mehrjährige Erfahrung, Weiterbildungen, ausgezeichnete Sprachkenntnisse und die Fähigkeit, sich auf Konzernleitungs-, beziehungsweise VR-Stufe bewegen zu können – sowie ein hohes persönliches Niveau und souveränes Auftreten. «Ich bin für einen fairen, dem Anforderungsprofil angemessenen Lohn, aber ich empfehle meinen Kandidatinnen, realistisch zu bleiben und ihre eigenen Fähigkeiten kritisch zu hinterfragen.»

Was einen fairen Assistentinnen-Lohn ausmacht, hängt also von vielem ab. Sicher ist: Wer sich benachteiligt fühlt und gute Argumente vorbringen kann, soll sich wehren. Da sind sich Isabell Rüdt-Robert, Helena Trachsel und Ute Barnickel einig.

Demonstrieren für Lohngleichheit

Die schweizweiten Veranstaltungen zum Equal Pay Day vom 20. Februar sind auf der Website des Events aufgeführt:
www.bpw.ch

Hilfe, um den eigenen Lohn einzuschätzen, bietet der Lohnrechner des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.
www.lohnrechner.ch