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Hartes Pflaster Stellenmarkt: Überlebenshilfe für Arbeitssuchende

Sie sind auf Stellensuche? Mein Beileid! Diese sieben Tipps sind zwar ironisch gemeint, können Ihnen aber trotzdem dabei helfen, diese belastbare Zeit möglichst unbeschadet und mit Humor zu überleben.

Aus unserem Archiv von Sabine Biland-Weckherlin für HR Today

Wer heutzutage freiwillig auf Stellensuche geht, muss hierfür wirklich triftige Gründe haben. Denn man benötigt eine sehr dicke Haut, um die oft rücksichtslosen, selbstzentrierten Gepflogenheiten des Arbeitsmarkts aushalten zu können.

Vielen Arbeitgebern fehlt der minimale Anstand

Kandidat:innen vermissen im Bewerbungsprozess oft sogar den minimalsten Anstand der Personalagenturen und Wunschfirmen, die sich wohlklingende Werte wie Verantwortung, Respekt und Fairness in ihre öffentlichen Verhaltens- und Ethikkodexe geschrieben haben. Unsere Kandidatinnen und Kandidaten berichten uns so regelmässig von teils haarsträubenden Erfahrungen, dass leider nicht mehr nur von vereinzelten «schwarzen Schafen» auf Arbeitgeberseite ausgegangen werden muss.

Davon sind auch stellensuchende Linien- oder HR-Verantwortliche betroffen, die nun das Bewerbungsverfahren aus der anderen Perspektive erleben und die Unannehmlichkeiten erstmals am eigenen Leibe erfahren. Ihr Rollenwechsel vom Entscheidungsträger zum:zur Stellensuchenden bringt nicht selten einen «Aha-Effekt» mit sich.

Werte? PR!

Selbstverständlich gibt es trotz eines bedauerlichen Wertezerfalls auf dem Stellenmarkt durchaus löbliche Ausnahmen in der Unternehmenswelt. Dabei handelt es sich um Firmen, die sich ihrer Aussenwahrnehmung bewusst sind und die den Kandidat:innen ein hohes Mass an Professionalität bieten.

Im vorherrschenden Arbeitgebermarkt sitzen die Firmen jedoch meist auf dem hohen Thron und verwechseln Stellensuchende zu oft mit Bittstellern – mit Ausnahme von Branchen mit drastischem Fachkräftemangel. Die Arbeitgeber sind weitgehend in der komfortablen Lage, dass sie über ein ausreichendes Kandidat:innenreservoir verfügen und sich deshalb im Umgang mit Bewerber:innen kein Bein ausreissen müssen. Dass auf Unternehmenswebsites fast unisono hehre Firmenleitwerte propagiert werden, ist sekundär. Die Werte sind oft nur PR.

Wenig Anstand auch auf Bewerbendenseite

Wir haben in unserer Beratungstätigkeit den Eindruck gewonnen, das despektierliche Verhalten der Firmen habe auf die Stellensuchenden abgefärbt. Unter dem Motto «Wie Du mir, so ich Dir» beweisen auch Stellenbewerber:innen oft, dass sie sich dem «Wilden Westen» des heutigen Arbeitsmarkts längst angepasst und sich die die wichtigsten Überlebenstechniken in kurzer Zeit zu eigen gemacht haben.

Die Wildwüchse opportunistischen Verhaltens gehen so weit, dass sich Kandidat:innen wohl auf eine Position bewerben, aber trotz mehrfacher Kontaktversuche nicht erreichbar sind. Ebenso ärgerlich sind Finalist:innen in der Stellenbesetzung, die wohl Transparenz bezüglich anderer Bewerbungen vorgeben, aber kurz vor dem Ziel mit einem überraschenden anderen Stellenangebot auftrumpfen. Nicht unüblich ist es in der heutigen Zeit des steten Optimierens, einen Vertrag zu unterschreiben und einige Wochen später ein anderes Angebot anzunehmen. Die Untugend des Nichtantwortens wird von allen Marktteilnehmer:innen gleichermassen gelebt und in der gegenseitigen Kommunikation praktiziert.

Bei der Stellensuche gilt das Recht des Stärkeren

Der heutige Stellenmarkt ist ein hartes Pflaster und gleicht einer freien Wildbahn, in der das Recht des Stärkeren gilt. Eigentlich sollten deshalb alle – Linien- und HR-Verantwortliche wie auch Kandidat:innen – mindestens einmal dazu gezwungen werden, die jeweilige Seite zu wechseln, um die Auswirkungen ihres Tuns- oder Nichtstuns auf die Gegenseite zu erleben.

Mehr Respekt im Sinne von Menschlichkeit wäre wünschenswert. Eine gelegentliche selbstkritische Auseinandersetzung mit den eigenen Praktiken und Verhaltensweisen ebenso – eine hohe Arbeitsbelastung auf Firmenseite und der Druck des heutigen Stellenmarkts genügen als Ausrede nicht.

Auf Stellensuche? 7 Tipps

Falls Sie sich selber auf Stellensuche befinden, mögen Ihnen einige zwar ironisch gemeinte, aber elementare Faustregeln dabei helfen, diese belastbare Zeit möglichst unbeschadet und mit Humor zu überleben:

  • Bitte messen Sie der Tatsache keine weitere Bedeutung zu, dass Sie wohl Ihre gesamten Personalien und Beweggründe auf einem Online-Bewerbungsportal offenlegen, Sie aber keine namentliche Ansprechperson hinter dem anonymen System kennen. Dies hat seine guten Gründe und dient dazu, Firmen vor aufsässigen Bewerber:innen zu schützen.
  • Es sollte Ihnen nichts ausmachen, wenn Sie auf Ihre Bewerbung wochen- oder gar monatelang nichts mehr hören, abgesehen von einer automatisch generierten Eingangsbestätigung. Mit derselben Grosszügigkeit begegnen Sie bitte auch ausgedehntem Stillschweigen nach einem persönlichen Bewerbungsgespräch.
  • Eine sportliche Einstellung hilft, wenn Sie dann nach geraumer Zeit der Funkstille endlich eine Tempo-Teufel-Spontaneinladung zum Interview erhalten. Falls es sich um ein persönliches Interview handelt, umso besser. Falls man Sie hingegen zur Teilnahme zu einem vorgefertigten Videointerview auffordert, werden Sie auch damit einen spielerischen Umgang finden.
  • Nehmen Sie nicht alles wörtlich: Im Falle von «Sie hören am nächsten Freitag von uns», heisst «Freitag» nicht immer Freitag, sondern ist vielmehr ein dehnbarer Begriff und lediglich ein ungefährer Anhaltspunkt.
  • Stehen Sie über der Sache, wenn man Sie mit einer fadenscheinigen Information zum Stand der Bewerbung vertrösten will, Sie aber die vorgegebenen Ausreden schon längst als plumpe Schwindelei entlarvt haben.
  • Wenn die ausgeschriebene Stelle plötzlich im Pensum erhöht, reduziert, umgeändert oder in fortgeschrittenem Stadium Ihrer Bewerbung gestrichen oder durch eine:n «aus dem Himmel gefallenen» interne:n Kandidat:in ersetzt wird, hat das mit Ihrer Kandidatur in der Regel nichts zu tun.
  • Nehmen Sie es nicht persönlich, wenn nach diversen Interviews, Assessments, Case-Studies und Tests als Absagegrund etwas genannt wird, was von allem Anfang an Ihren Bewerbungsunterhalten zu entnehmen war: fehlende Sprachkenntnisse, ausbleibende Ausbildungen, unzureichende Erfahrung oder dergleichen.

Viel Glück!