«NZZ Online» / von Dr. Thomas A. Biland
Insbesondere seit der Finanzkrise stellen wir eine Zunahme der Veränderungen im Verhalten vieler Akteure im wirtschaftlichen Umfeld fest. Dieser Trend wurde durch die Digitalisierung in den vergangenen Jahren noch zusätzlich verstärkt, wobei wir einen Unterschied zwischen unternehmergeführten KMUs und Corporates (Konzerne) zu erkennen glauben. Gleichzeitig haben sich die gesuchten Stellenprofile zum Teil klar verengt. Dies führt dazu, dass die einstmals gefragten Generalisten mit ihrer Breite an Erfahrung und Denken es heute überdurchschnittlich schwer haben im Arbeitsmarkt. Wenngleich überall der «unternehmerisch denkende und handelnde» Bewerber gesucht wird, so ist doch gleichzeitig bei den grösseren Unternehmen eine zusehende Spezialisierung, ein Wiedererwachen des Taylorismus (1), zu erkennen. Dies wiederum führt dazu, dass durch die Aufteilung eigentlich zusammenhängender Themenbereiche dem Micro-Management Vorschub geleistet wird und die Manager ihre Mitarbeiter oftmals zu Befehlsempfänger degradieren, indem sie diese durch enge Vorgaben den eigenen Entscheidungs- und Denkfreiraum einengen. Gleichzeitig beklagen sie sich dann oft, dass die Mitarbeitenden zu wenig unternehmerisch denken und handeln würden.
Dieser Trend wird politisch durch einen in Teilen wiedererwachenden Manchesterliberalismus (2) unterstützt, der wohl bereits den Bodensatz für das Zurückschwingen des Pendels in der nicht so fernen Zukunft gelegt hat. Das Überschwappen der angelsächsischen Wirtschaftskultur hat neben unbestreitbar positiven Auswirkungen jedoch auch zum Werteverlust im traditionellen europäischen Sinn beigetragen – das Recht des Stärkeren sowie die reine Zahlen- und damit Gewinnorientierung erodieren unsere ethischen Normen und Ethik. Gleichzeitig sind alle Zeitungen und Internetforen voll von Werte-Diskussionen.
Den klassischen Patron gibt es noch, wenngleich er sich zusehends von managergetriebenen Konstrukten umringt sieht. Ein Manager und ein Unternehmer sind jedoch zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe. Während der eine in der Regel nach seiner Gesinnung und letztlich auch dem Bauch und seinem Glauben folgend handelt, neigen Manager nicht selten dazu zu verwalten, rein prozess- und bonusorientiert zu agieren. Nicht, dass gute Prozesse und klare Regeln unwichtig wären, doch letztlich wird auch in einer digitalisierten Welt der Mensch den Unterschied machen. Dazu braucht es aber eine gesunde und übereinstimmende Wertebasis, damit das Miteinander funktionieren kann. Doch gerade diese fehlt im Moment oder wird in Politik und Wirtschaft von Partikularinteressen ausgehebelt. Es ist offensichtlich, dass in unserem System etwas nicht mehr funktioniert. Die politischen Entgleisungen weltweit sind nur das politische Zeichen eines teilweisen Scheiterns, welches tiefer geht.
Die Art der in einer Wirtschaft und Gesellschaft gelebten und damit als Handlungsgrundlage anerkannten Werte reflektiert das Miteinander sowie Gegeneinander ebenso wie den Umgang mit Konflikten. In der Schweiz ist im politischen Bereich das Prinzip der Konkordanz zu erwähnen, welches lange Zeit den Ausgleich zwischen den verschiedensten Interessengruppen als oberste Maxime kannte. Dies erforderte Werte wie Respekt im gegenseitigen Umgang, die Bereitschaft zum Kompromiss, das Zuhören und sich Auseinandersetzen mit dem Gegenüber, sowie ein Minimum an Anstand und Ehrlichkeit im gegenseitigen Dialog. Wenn Führungskräfte sich heute beklagen, dass Opportunismus grassiere und Loyalität sowie persönliches Engagement zum Teil verloren gegangen seien, so sei ihnen entgegenzuhalten, dass der «Fisch am Kopf zu stinken» beginnt. Das aktive Vorleben wirkt im Guten wie im Schlechten. Letztlich haben sie es wesentlich in der Hand, hier Zeichen zu setzen und durch ihr Verhalten Gutes vorzuleben. Nur dann können sie es auch einfordern. Im Guten sind dies starke und gute Werte wie zum Beispiel Vertrauen, Verantwortung, Ehrlichkeit, Integrität, Glaubwürdigkeit, Anstand sowie Respekt. Dies sind zwingende Voraussetzungen, um letztlich erfolgreich zu sein. Ganz in diesem Sinne erlaube ich mir einen Kunden zu zitieren: «Wer Leistung fordert, muss Sinn bieten»! Es braucht ein Miteinander, wo Mitarbeitende ernst genommen und gefördert werden, von ihnen jedoch auch Leistungen eingefordert wird.
Das konsequente Vorleben von Werten verlangt anderseits ein bedingungsloses Akzeptieren dieser durch die bestehenden aber auch die neu zum Unternehmen stossenden Mitarbeitenden. Darüber hinaus ist eine verstärkte Offenheit bei der Rekrutierung zwingend, denn auch in Zukunft werden Menschen den Unterschied – im Vergleich mit der Konkurrenz – ausmachen. Zu oft werden Anforderungsprofile zu eng definiert und nur auf die einzig relevante Erfahrung und das «mögliche fachliche Risiko» beurteilt. Manchmal fragt man sich in managergetriebenen Firmen, ob es letztlich unter Umständen wohl eher um die Angst vor einer potentiellen Fehlbesetzung gehe und damit das Risiko, vom Vorgesetzten persönlich dafür verantwortlich gemacht zu werden oder um das Verhindern von neuer (interner) Konkurrenz. Risikovermeidung scheint daher in den meisten Firmen im Moment die Maxime zu sein. Dabei ist aus unserer Erfahrung vielmehr die Persönlichkeit sowie die Übereinstimmung in den Werten das Wesentliche, wenn man eine Führungskraft oder einen Fachspezialisten sucht, der zur Weiterentwicklung der Firma beitragen soll. Hier wäre den Personalabteilungen und Managern eindeutig mehr Mut und Weitblick gegönnt. Es gibt genügend Beispiele, welche dies belegen. Stromlinienförmigkeit und Checklisten-Abgleich reichen nicht aus und blenden die mindestens so wichtigen «soft factors» aus. Zuviel Angepasstheit und Handeln aus reiner Opportunität schaden mehr als sie nutzen – und davor haben wir in den Führungsebenen vieler Firmen heutzutage ohnehin einen Überschuss.
Veränderungen und Entwicklungen werden oft von Quer- und Breitdenkern initiiert. Als Führungskraft haben wir diese im Interesse des Firmenerfolges zu fördern und das kritische Denken einzufordern. Zusammen mit einer starken Werteorientierung kann diese Art des Querdenkens die Basis für langfristige Erfolge, für Weiterentwicklung auch ausserhalb des momentan noch Optimalen legen. Besinnen wir uns der guten alten Werte – sie stehen nicht im Widerspruch zur Digitalisierung. Vielmehr können sie selbst in Zeichen des Wandels den feinen Unterschied machen. Haben wir den Mut, uns zu ihnen zu bekennen und erlauben wir darüber hinaus «unserem Bauch» ein Urteil. Letztlich ist dies ein Teil des Erfolges vieler Inhaber geführten Firmen, welche zu Marktführern geworden sind. Und in diesem Kontext haben auch die bekannten «preussische Tugenden» (3) noch immer ihre Daseinsberechtigung. Es ist höchste Zeit für ein Umdenken und damit ein Heraustreten aus der schützenden Dunkelheit der «opportunistischen Anonymität» in vielen Firmen und der Gesellschaft.
Lassen Sie uns die gute alte Normalität wieder normal werden! Haben wir den Mut, diese tagtäglich vorzuleben – im Interesse unserer Firmen aber letztlich auch uns allen!