In Zeiten des vielbeklagten Fachkräftemangels sind Firmen gezwungen, im Recruiting neue Wege zu gehen. Digitale Massnahmen versprechen, mit wenig Geld in kurzer Zeit den gesuchten Traumkandidaten zu finden. Benötigt wird lediglich eine digital versierte Person namens Inhouse-Recruiter und ein LinkedIn- oder Xing-Profil. Die lästigen Honorare für externe Dienstleister fallen damit auch weg. So einfach? Schön wär’s.
Recruiting ist zur Herausforderung geworden. Jobinserate allein genügen heute meist nicht mehr für eine erfolgreiche Stellenbesetzung. Dass in der Schweiz nahezu Vollbeschäftigung herrscht, heizt den angespannten Kampf um die besten Talente zusätzlich an. Hinzu kommt ein Paradigmenwechsel: Qualifizierte Bewerber sind sich ihrer guten Karten bewusst und lassen sich mit Vorliebe umwerben, sei es im Netz oder in der Direktansprache.
Neue Berufsgruppen wie Active Sourcer, E-Recruiter und Social Media Searcher sollen es «richten», indem sie sich auf Karriereseiten wie LinkedIn und Xing durchklicken, um im «Handumdrehen» Profile passender Wunschkandidaten zu identifizieren.
Tendenziell scheint in der HR-Szene die Meinung vorzuherrschen, dass Social Media das ersehnte Universalrezept zur Personalbeschaffung in ausgetrockneten Kandidatenmärkten liefert und dass sich dadurch zudem die Honorare für externe Berater sparen lassen – ein Trugschluss.
LinkedIn als Tummelfeld für gesuchte Fachspezialisten?
Die Suche nach passenden Kandidaten ist oftmals wie das Aufspüren der Miniaturnadel im globalen Heuhaufen. Und wer sich nur auf Datenbanken wie Xing und LinkedIn bewegt, sucht nicht nach den bestmöglichen Kandidaten, sondern vielmehr nach jenen, die in ebendiesen Datenbanken drin sind.
Erfahrungsgemäss wird der Anteil von Funktionsträgern mit Social-Media-Präsenz überschätzt. Viele Berufsgruppen und Funktionen sind in den sozialen Medien stark untervertreten. Dies gilt beispielsweise für Fachspezialisten im technischen Umfeld – die aktuell begehrtesten Profile. Dies führt dazu, dass Recruiter «immer die Gleichen» kontaktieren und diese dann erfahrungsgemäss so genervt sind, dass sie eines Tages gar nicht mehr auf Anfragen antworten.
Klar, eine erhebliche Anzahl von Kandidaten ist sehr wohl auf LinkedIn vertreten, wünscht aber keinen Kontakt. Andere Profile sind nicht aktuell, unvollständig, fehlerhaft oder nicht ganz wahrheitsgetreu. Hinzu kommt, dass sich Arbeitgeber der Bedeutung ihrer besten Fachkräfte immer bewusster werden und alles daransetzen, um diese nachhaltig an sich zu binden – was langfristig wohl auch der beste Weg ist. Umso bedeutender ist denn auch das gekonnte Umwerben potentieller Kandidaten in allen Phasen des Kontakts – selbst, wenn nur Desinteresse zurückkommt.
Social-Media-Recruiting bedeutet also ständiges Fischen im trüben Kandidatenteich mit geringem Fischvorkommen. Das kann nicht im Sinne der Arbeitgeber mit Anspruch auf hohe Kandidatenqualität sein – zumindest nicht für erfolgsrelevante Funktionen innerhalb eines Unternehmens. Es gilt also, weitere Quellen in den Suchprozess einzubeziehen: Gefragt ist ein systematisches Research unter Einschluss aller möglicher Quellen – inklusive des eigenen Netzwerks.
Die hohe Kunst des Active Sourcings
Viele Firmen wollen sich dank Social Media die Kosten für externe Berater sparen und kehren langjährig erfolgreichen Recruiting-Partnern den Rücken zu. Sie stellen ein firmeneigenes Recruiting-Team auf – auch aus Überzeugung, dass Insider die Bedürfnisse des Unternehmens besonders gut verstehen. Damit erhoffen sich die Unternehmen gleich mehrere Fliegen auf einmal zu erwischen: Kostensenkung, Effizienzsteigerung im Rekrutierungsprozess und das treffsichere Aufspüren der passgenauen Kandidaten.
Allerdings stellen wir fest, dass eine Innensicht der Firma allein nicht zwingend zum Erfolg führt. Denn digitales Recruiting und insbesondere Active Sourcing erfordert ein fundiertes Verständnis des Wunschkandidaten, verbunden mit lückenloser Sorgfalt, Systematik und Disziplin. Es braucht eine intelligente Definition und wiederholte Anpassung der relevanten Sourcing-Kanäle und Suchkriterien, diplomatische Hartnäckigkeit beim Nachverfolgen sowie kreative Suchstrategien. Und ganz wichtig: eine verlockende Kontaktaufnahme, die das Interesse der passiv wechselwilligen Kandidaten weckt.
Letztlich reagieren nur etwa 20 bis 25 Prozent der angesprochenen Kandidaten auf eine Anfrage via LinkedIn – diese Zahl können wir aus eigener Erfahrung bestätigen. Und dann gilt es, nicht nur das Interesse, sondern auch das Vertrauen der angeschriebenen Person zu gewinnen. Active Sourcing ist sorgfältige Beziehungspflege. Wer sie betreibt, trägt eine hohe Verantwortung im Namen der Arbeitgebermarke und gegenüber der angeschriebenen Person.
Active Sourcing auf nachvollziehbare harte Faktoren oder Anzahl gewisser Stichwörter im CV zu reduzieren, ist zutiefst unprofessionell. Es erfordert ein komplexeres Portefeuille an Fähigkeiten, als man gemeinhin glauben würde: Projektmanagement, Allgemeinwissen, Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge, psychologisches Feingespür, sprachliche Fertigkeiten und Reaktionsgeschwindigkeit.
Die genialste Sourcing-Software steht und fällt mit der Person, die sie bedient. Die ausgeklügeltste Such-Strategie ist zum Scheitern verurteilt, wenn die Suchenden – Active Sourcer oder Social Media Recruiter – nicht über ein ausreichendes Mass an Erfahrung und Verständnis verfügen, um einem Profil die richtigen Personen respektive die passenden Werdegänge sinnvoll zuzuordnen.
Sourcen ist also, richtig betrieben, eine hohe Kunst. Es erfordert systematische Arbeitsweise und hohe Professionalität. Im Idealfall ist es eine effiziente Methode, um im Kandidatenwettbewerb die erhofften Talente zu gewinnen. Professionell betrieben bedeutet Active Sourcing eine Stärkung der Arbeitgebermarke als Wunscharbeitgeber.
Vorsicht vor Imageschaden
Falsch verstandenes Active Sourcing vergrault die gesuchten Perlen. Kandidaten berichten uns wiederholt von ausbleibenden Rückmeldungen, nachdem sie Interesse bekundet hatten. Das ist verständlicherweise befremdend.
Weiter wollen Bewerber einen schnellen Einstellungsprozess. Doch die meisten Firmen verkennen diese grundlegende Tatsache. Neben einer hohen Professionalität sind Geschwindigkeit und Transparenz entscheidend für einen erfolgreichen Recruiting-Prozess. Wer zu lange Reaktionszeiten hat, verliert gute Kandidaten.
Bei unzutreffenden Ansprachen mit Verdacht auf Massenabfertigung, unvollständigen Angaben, fehlerhafter Sprache oder schludriger Nachbearbeitung ist das Risiko eines Reputationsschadens im Active Sourcing nicht zu unterschätzen.
Direktansprachen sind aufwendig und zeitintensiv – also Finger weg, wer über keine ausreichenden Ressourcen und das entsprechende Know-how verfügt. Je härter umkämpft der Kandidatenmarkt, desto höher die Anforderungen an eine perfekte Ansprache.
Wenn es für HR-Verantwortliche immer schwieriger wird, alle Aspekte einer fortschrittlichen Personalpolitik unter einen Hut zu bringen und die Qualität der Inhouse-Recruiter unter Umständen zu wünschen übriglässt, drängt sich womöglich eine Zusammenarbeit mit einem externen Dienstleister auf.
Externe Dienstleister können sich durch ihre Spezialisierung konzentriert der Rekrutierung und der zügigen Kandidatengewinnung widmen. Sie greifen auf einen grossen Erfahrungsschatz und ein reiches Netzwerk zurück. Sie bringen zudem den Vorteil mit, dass sie gänzlich unbefangen in der Ansprache von Kandidaten bei Konkurrenzunternehmen sind.
Ich fasse zusammen: Active Sourcing über Social Media kann durchaus eine gute Ergänzung sein zu weiteren Recruiting-Massnahmen – aber kein Ersatz.