In der Nacht vor der Oscar-Verleihung wird alljährlich die «Goldene Himbeere» als Negativpreis verliehen. Im Recruiting bräuchten wir eigentlich auch einen solchen Negativpreis. Stoff dafür gibt es genug. Wir haben ein paar Ideen für die Einzelkategorien gesammelt.
Von Sabine Biland-Weckherlin
In der Personalgewinnung kann man vieles richtig und vieles falsch machen. Davon sind selbstverständlich auch wir als Personaldienstleister nicht ausgenommen. Bitte beachten Sie das Augenzwinkern! Dieser Artikel soll ein konstruktiver Beitrag zur punktuellen Verbesserung im Wettbewerb um die besten Talente sein.
Eine positive Candidate Experience macht Lust, bei einer Firma zu arbeiten. Im Negativfall gilt das Umgekehrte. Selbstverständlich gibt es in leergefischten Kandidatenteichen noch andere Entscheidungskriterien als professionell geführte Bewerbungsprozesse – trotzdem ist ein effizientes, respektvolles und transparentes Rekrutierungsverfahren für Kandidaten oft das «Zünglein an der Waage» zwischen zwei gleichwertigen Arbeitgebern.
Und nun zu den Kategorien unseres fiktiven Recruiting-Negativpreises:
Planloseste Stellenausschreibung
Einmal die Stellenausschreibung der Vorgängerrolle kopieren – passt schon? Passt nicht. Wer sich zu wenig Gedanken um das gesuchte Profil macht, begeht eine der Kapitalsünden im Bewerbungsprozess.
Mit einem veralteten Stellenprofil wird die Neubesetzung aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zur aktuellen Realität der Firma passen. Das ist nicht nur eine ungenutzte Chance. Es führt zu Leerläufen im Recruiting-Prozess. Es führt zu Frust, Burnout oder Boreout beim Neuling. Und es führt nicht selten zu dessen frühzeitigen Kündigung.
Oft gleichen die Erwartungen in Stellenausschreibungen auch schlichtweg einer «Alice in Wunderland», die es als Fantasiefigur, nicht aber auf dem Kandidatenmarkt gibt. Damit einher geht oft auch fehlende Offenheit gegenüber Kandidaten, die nicht exakt der Stellenbeschreibung entsprechen. Viele Entscheidungsträger sind wahre Detektive im Auffinden des berühmten Haares in der Suppe.
Höchster Grad an Intransparenz
Leichen im Keller der Firmenkultur, voraussehbare, aber verschwiegene personelle Veränderungen – willkommen im Nebel der Intransparenz. In diese Kategorie fallen auch Rekrutierungsprozesse, bei denen im letzten Moment ein «interner Kandidat» auftaucht, der das Rennen macht. Dies sorgt nicht nur für Befremden unter Bewerbern – es wirft ernsthafte Fragen hinsichtlich eines transparenten und fairen Bewerbungsverfahrens auf.
Arrogantestes Gehabe
Ein Interview ist eine Chance der Selbstdarstellung – für Kandidaten und Unternehmen. Aber: Es ist keine Werbeplattform für selbstverherrlichende Eigendarstellungen der Firmen oder für selbstverliebte Vorgesetzte. «Wir sind die Grössten und wer sind Sie»? «Warum sollten wir Sie in unsere Sphären aufnehmen?» Alles schon erlebt.
Dieses Gehabe zeugt von Arroganz und wird manchen Wunschkandidaten misstrauisch stimmen. Vor allem, wenn es von Fragen wie «Trauen Sie sich die Aufgabe wirklich zu?» begleitet ist.
Arrogant ist auch, wenn Arbeitgeber sich mit den Worten verabschieden: «Wir melden uns mit dem Feedback.» Es könnte ja sein, dass die Kandidatin die zu besetzende Stelle nach dem Interview gar nicht mehr möchte? Vielen Interviewern scheint diese Option gar nicht in den Sinn zu kommen.
Mieseste Selbstdarstellung
Auf der Gegenseite wirkt auch ein «Haben Sie sich das gut überlegt? Wollen Sie WIRKLICH zu uns kommen?» eines Arbeitgebers mit angekratztem Firmenimage verunsichernd auf Bewerber. Bei solchen Worten wird auch der überzeugteste Kandidat stutzig.
Schlechteste Organisation
Sprechen wir mal über die Terminplanung. Also beispielsweise über x-fach verschobene Termine – in einem jüngsten Fall waren es fünf an der Zahl für dieselbe Kandidatin! Ebenfalls unzulässig ist die wiederholte, rücksichtlose Beanspruchung von Kandidaten für Interviewzwecke, losgelöst von deren aktuellen Arbeitsbeanspruchung, oftmals mitten im Tag. In einem Fall ging es jeweils um lediglich dreissigminütige Interviews.
Ärgerlich sind auch Absagen nach einer Vielzahl von Interviews aufgrund von Fakten, die schon beim ersten CV-Studium ersichtlich gewesen wären – wie der Wohnort oder das zu tiefe Alter.
Schlechteste Darsteller
Die persönliche Performance der Akteure im Interview ist das Herzstück jeder Bewerbung. Entsprechend lässt sich hier viel Terrain gewinnen – oder Geschirr zerschlagen.
Denn hier zeigt sich zumindest ansatzweise, wie der Wind im Unternehmen weht. Das beginnt mit der Begrüssung: Diese sollte ein Willkommen, einen Dank fürs Interesse, ein Getränkeangebot, ein Minimum an Small Talk und einen wertschätzenden Umgang beinhalten.
Der CEO, der in den Raum platzt und den Kandidaten mit einem «Was wissen Sie über uns?» überrollt, mag spielerisch-konfrontativ unterwegs sein – aber er geht irrtümlicherweise von einem Gefälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus. Umso mehr, wenn er dann auch noch stolz verlauten lässt, dass er prinzipiell keine Lebensläufe liest. Ergo null vorbereitet ist. Wo von Bewerbern zu Recht ein vertieftes Studium der Firma erwartet wird, hat die interviewte Person Gegenrecht.
Bewerber sollen keinen Monolog halten, sondern sich in ihren Aussagen knapp und kohärent halten. Dasselbe gilt für die rekrutierende Firma. Kein ausschweifender Schwall, kein Dozieren, kein Predigen und schon gar keine Fragen in Ton und Stil von Polizeiverhören: Der Kandidat ist weder Angeklagter noch Prüfling. Übertrieben? Nein, wiederholt erlebt!
Auch wenn die interviewte Persönlichkeit offenbar nicht die Richtige ist, so verdient sie ein Mindestmass an Respekt: Ein Interview schon nach 15 Minuten abzubrechen, ist respektlos. Ähnlich schlecht machen sich abfällige Aussagen über Stellenvorgänger oder verbleibende Teammitglieder und vorurteilsstrotzende Annahmen zu Stellenwechseln, Unterbrüchen oder temporären Anstellungen.
Was beim Kandidaten selbstverständlich ist, gilt auch für den Interviewer: Handy abstellen, nicht zwischendurch auf neue Nachrichten prüfen, keinen unterbrechenden Anruf ankündigen. Denn das alles wirft ein schlechtes Licht auf die Selbstorganisation der zukünftigen Führungsperson.
Unpassendste Spezialeffekte
Dass sich die zukünftige Vorgesetzte bei der Assistentin in spe dreist zum Kaffeebesuch in den privaten Räumlichkeiten einlädt, um anhand der Wohnungseinrichtung ein besseres Bild der Kandidatin zu erhalten? Oder dass die beiden Interviewer während des persönlichen Gesprächs von einem unaufhörlichen Lachanfall befallen werden? Oder dass sich der Firmenvorsitzende weigert, den Finalisten die Büroräumlichkeiten zu zeigen? Kein Witz!
Ebenso deplatziert ist es, wenn Firmen sich realisierbaren Kandidatenwünschen verweigern – ob es nun um vertretbares finanzielles Entgegenkommen, Pensum oder Homeoffice geht. Ach ja: Bei einem Start-up mag man ein schmuddeliges Interieur schlimmstenfalls noch durchgehen lassen – der Rauchgeruch in den Räumlichkeiten eines Privatbankers geht aber gar nicht.
Beharrlichste Zauderer
Für uns als Recruiter sind schleppende Entscheidungsprozesse bemühend: Immer wieder springen Wunschkandidaten aus zeitlichen Gründen ab. Je länger der Prozess dauert, desto mehr Zeit haben Kandidaten für Gegenangebote und dafür, Zweifel an der Firma aufkommen zu lassen – mit zunehmender Dauer sinkt das Interesse an der Stelle.
Meistens erfolgen die Stellenbesetzungen unter einem gewissen Zeitdruck, wobei es selbstverständlich begrüssenswert ist, nicht die erstbeste Wahl zu treffen. Doch Entscheidungsunfähigkeit seitens der potentiellen Arbeitgeber teilt Kandidaten wenig Schmeichelhaftes über die Dynamik innerhalb der Firma mit.
Zauderer haben das Nachsehen. Das Schweizer Sprichwort «De Schnäller isch de Gschwinder» hat auch hier seine Gültigkeit.
Schlampigste Kommunikation
Hand in Hand mit der Zögerlichkeit geht die Kategorie für die schlechteste Kommunikation. Einer der gängigsten und ärgerlichsten aller Patzer betrifft fehlende oder verspätete Rückmeldungen – auch ungebrochenes Stillschweigen nach persönlichen Interviews oder monatelang verzögerte Antworten haben wir schon erlebt.
Eine solche Kommunikation lässt auf eine liederliche Selbstorganisation und ein respektloses Menschenbild schliessen. Eine denkbar schlechte Visitenkarte für jedes Unternehmens und eine fahrlässig vertane Chance für ein überzeugendes Employer Branding.
Fazit
Negative Botschaften werden mehr und rasanter verbreitet als positive Nachrichten. Glücklicherweise gibt es bei Weitem mehr positive Beispiele als negative Ausreisser. Dennoch lohnt es sich, den eigenen Rekrutierungsprozess einer kritischen Selbstprüfung zu unterziehen.
Oder – wie es einige Firmen tun – den Kandidatinnen und Kandidaten nach dem Interview einen Fragebogen zur kritischen Rückmeldung unterbreiten. Jede solche Massnahme ist konstruktiver als ein Verriss in der Firmenbewertung auf Google, Kununu oder Glassdoor.