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«Arbeitsmarkt aufgepasst – hier kommen wir, die Generationen Y und Z»

By Bernie Tewlin, November 2021
Was müssen Arbeitgeber beachten, um die Talente von morgen gewinnen und halten zu können?! An unserem traditionellen Herbst-Apéro – zum zweiten Mal im virtuellen Format – standen die Bedürfnisse der jüngeren Generationen im Fokus.

Corona ist «nur» der Brandbeschleuniger. Unser Arbeitsmarkt hat sich in den letzten 20 Jahren zusehends verändert. In unserer diesjährigen Podiumsdiskussion wollten wir herausfinden, wie die jungen Arbeitnehmer denken. Keine Prognosen oder Statistiken, sondern ehrliche Bedürfnisse, direkt von der jungen Generation. Unsere Podiumsgäste:

Moderation: Dr. Thomas A. Biland

Hier finden Sie die Podiumsdiskussion, inklusive Vorstellungsvideos der Referentinnen und Referenten, in voller Länge.

INTRO VON ELLY OLDENBOURG
Laut Elly, die seit 10 Jahren Managerin bei Google ist und daneben als selbständige Autorin und Speakerin arbeitet, befinden wir uns in einem radikalen Wandel, der nicht nur unser Klima oder unseren Wohlstand betrifft. Die Märkte verändern sich komplett. Jeder von uns ist in der Verantwortung und sollte seine Antennen sensibilisieren, die Sinnhaftigkeit hinterfragen und eine Meta-Perspektive einnehmen. Flexibilität und Resilienz sind die prägenden Begriffe unserer Zeit. In vier Jahren stellt die Generation Y (geboren ab 1980 bis Ende der 1990er Jahre) 75% der arbeitenden Bevölkerung. Das sind 3/4!! Die Generation Z (geboren um die Jahrtausendwende) ist die diverseste Population seit je. Ihre Kaufentscheide sind wertorientiert, was Unternehmen dazu drängt, immer stärker für den gesellschaftlichen Wandel einzustehen. Mit diesen Fakten sollte der «Sense of urgency» einleuchten. Die Veränderung findet statt, ob man will oder nicht.

THEMA 1 – WIE NEHMT IHR DIE ERWARTUNGEN DES ARBEITSMARKETS WAHR – WIE PRÄSENTIEREN SICH DIE FIRMEN?

Thomas A. Biland: Wo seht ihr die grössten Konflikte bezüglich eurer Erwartungen und jenen der Unternehmen?

Phyllis: Meinen aktuellen Arbeitgeber habe ich gewählt, weil wir die gleichen Werte teilen. Differenzen bestehen nur was die mittelfristige Wachstumsstrategie anbelangt, weil ich als junge Person noch nicht weiss, was ich in zwei Jahren machen möchte.

Elena: Oft möchte das Unternehmen Kandidaten, die bereits viel Erfahrung haben, jedoch nicht älter als 24 sind. Obwohl ich festgestellt habe, dass junge Leute tatsächlich viel Knowhow mitbringen, ist dieser Wunsch kontrovers. Wichtig ist für mich, Lebenserfahrung – nicht mit Berufserfahrung zu verwechseln. Vielen Unternehmen fällt es schwer, anstatt Alter, die Berufsjahre anzuerkennen.

Mauro: Eine Stelle habe ich wegen des Alters nicht bekommen.

Thomas A. Biland: Wann erhält ein Unternehmen die Aufmerksamkeit von euch?

Mauro: Wenn es proaktiv auf mich zukommt und auch wirklich daran interessiert ist, Lernenden nach Abschluss der Ausbildung eine Zukunft zu bieten. Wichtig sind Weiterentwicklung und Perspektiven.

Phyllis: Ein starke Online-Präsenz ist mitentscheidend – Marketing für Bewerbende, Videos, Social Media und Co. Mir persönlich ist es wichtig, wer meine zukünftigen Berufskollegen und –Kolleginnen sind.

Elena: Von den Webpages bin ich desillusioniert! Viele zeigen sich online von der besten Seite, doch das Bild entspricht nicht der Realität. Weiterentwicklung und Karriere sind mir wichtig, aber nicht nur nach oben. Vielmehr geht es um die Vielfalt der Möglichkeiten wie z B international arbeiten zu können.

Elly: Wichtig ist der Mindset. Menschen sind Individuen, die nicht zwingend einen linearen Lebensweg haben müssen. Die Möglichkeiten entlang von Beruf und Privatleben sind vielfältig. Die Frage, «Wofür mache ich das eigentlich?», kommt immer stärker. Das Unternehmen sollte sich daher überlegen, was es wirklich verändern möchte und weshalb es die Kandidatin oder den Kandidaten dafür braucht.

Thomas A. Biland: Was habt ihr für Erfahrungen gemacht, im positiven oder negativen Sinn? Wie nehmt ihr die Rolle des HR in dieser Phase wahr?

Elena: Durch mein Studium an der HSG war ich an Rekrutierungsevents mit coolen Unternehmen, die sich von der besten Seite zeigen, um Studierende anzuwerben, gewöhnt. Dabei habe ich Musterbeispiele, aber auch demotivierte HR-Personen, die am Stand sitzen und kein Interesse zeigen erlebt.

Mauro: Meine Erfahrung aus Besuchen verschiedener Berufsmessen ist sehr unterschiedlich und reicht von sehr guten bis hin zu waghalsigen Auftritten.

Phyllis: In meinem technischen Setting hatte ich oft das Gefühl, dass das HR nicht immer genau wusste, was verlangt ist. Dabei fragte ich mich, weshalb nicht die Teamleitung das Interview führt? Bei meinem aktuellen Arbeitgeber machen die Verantwortlichen, die die Person anstellen, das Gespräch. Der letzte Schritt ist ein Schnuppertag mit einem anschliessenden Bier auf unserer Dachterrasse. Eine recht coole Erfahrung!

Thomas A. Biland: Ich stelle fest, dass es euch wichtig ist, dass Firmen Interesse zeigen und sich verkaufen. Inhalte und Werte wie auch die Identifikation sind extrem wichtig.

Mauro: Absolut, Sinnhaftigkeit ist hier auch ein passender Begriff.

Elena: Titel sind mir total egal, die Rolle ist wichtig, das Teamgefühl und gemeinsame Werte.

Elly: Diese Statements passen sehr gut zur gesamten Dynamik der Gesellschaft. Weniger Status und Fringe Benefits, dafür mehr Freizeit und Substanz. Für Rekrutierende heisst das «Umparken» im Kopf, flexibel sein. Selbstverständlich ist ein solcher Kulturwandel in Grossunternehmen ein schwieriges Unterfangen. Wichtig ist das Ausprobieren. Man muss sich nicht von heute auf Morgen 180 Grad drehen, Offenheit und der Marsch in die richtige Richtung sollten jedoch vorhanden sein.

Elena: Durch meinen Mix aus 80% Versicherung und 20% NGO kenne ich beide Welten. Bei der Versicherung habe ich sehr stark auf den Bewerbungsprozess geachtet und geschaut wie miteinander interagiert wird und wie starr die Strukturen sind.

THEMA 2 – WAS BEDEUTET FÜR EUCH ARBEIT UND KARRIERE HEUTE?

Thomas A. Biland: Was heisst für euch Karriere, wie seht ihr euren Lebensweg, wie langfristig denkt ihr?

Mauro: Sehr interessante Fragen. Mit 22 bin ich noch jung und erst vor zwei Jahren aus der Lehre gekommen. Karriere ist für mich ein schwieriger Begriff. Ich habe bewusst einen anderen Weg gewählt und nach der Matura die Lehre einem Studium vorgezogen, was absolut die richtige Entscheidung war. Karriere hat für mich einen Wert, jedoch verstehe ich darunter nicht die klassische Leiter. Viel mehr möchte ich das machen, was mir Spass bereitet und mich erfüllt. Deshalb arbeite ich beispielsweise als Lehrperson für Stützkurse. Ich lebe im Jetzt und habe keine Ahnung, wo ich in zwei Jahre stehe.

Phyllis: Kurzzeitig kann ich ebenfalls keine Karriere-Prognose geben. Trotzdem kann ich mir vorstellen, wo ich in 10 bis 20 Jahren sein werde. Und Karriere ist mir wichtig. In einem Unternehmen möchte ich später eine Position in einer höheren Hierarchie-Stufe haben, weil mir Inhalt und die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, wichtig sind. Die Arbeit muss aber immer Spass machen.

Elena: Für mich ist das Stichwort Karriere gleichbedeutend mit Entwicklung. Neues Lernen, sich weiterentwickeln. Wichtig ist mir auch Anerkennung, was auch mit monetären Erwartungen einhergeht. Und ich spreche hier nicht von teuren Autos oder Champagner.

Phyllis: Ja, eine faire Bezahlung ist auch mir wichtig. Jedoch verbinde ich Anerkennung nicht mit dem Lohn. Vielmehr sind Inhalt, Projekt- und Produktverantwortung, Nachhaltigkeit wie auch Lob und Tadel für mich entscheiden. Identische Funktionen sollen aber auch gleich bezahlt werden. Es geht um Fairness, nichts anderes.

Elly: Wenn wir vom Prototyp «Perfekte Arbeitnehmerin» sprechen, gilt noch immer: Sie darf nicht schwanger sein, keine kranken Eltern haben, nicht zu stark politisieren und braucht möglichst wenige Schlaf. Alles was Mauro, Phyllis und Elena beschreiben, passt noch nicht in die heutigen Systeme und es ist gar nicht so einfach, alle Wünsche in den Mechaniken unterzubringen, weil der Prototyp noch nicht darauf ausgelegt ist. Alle, die Vorreiterinnen und Vorreiter sind, haben einen anstrengenden Weg vor sich, gleichzeitig ist es aber auch ein Privileg.

Thomas A. Biland: Sind eure Eltern und die ältere Generation noch ein Vorbild für euch?

Mauro: Mein Vater hat zwei Ausbildungen absolviert, was ihm eine flexible Karriere ermöglichte. Mit 42 konnte er nochmals wechseln.

Elena: Ich finde es inspirierend, dass dein Vater seinen Weg gegangen ist. Jeder, der es für sich schafft, ist ein Vorbild. Persönlich bewundere ich den Lebensweg meiner Eltern. In der Familie haben
wir alle das gleiche studiert, haben aber verschiedene Richtungen eingeschlagen. Deshalb kann ich sie nicht direkt als Vorbilder bezeichnen.

Phyllis: Als Person ist mein Vater ein Vorbild für mich, beruflich hat er aber etwas anderes gemacht. In meinem Umfeld kenne ich niemanden, der etwas Ähnliches macht, deshalb ist es schwierig mit Vorbildern. Für mich ist es wichtig, meinen eigenen Weg zu gehen.

Elena: Ein Vorbild muss auch nicht unbedingt viel älter sein. Meine aktuellen Berufskollegen sind für mich Vorbilder. Sie sind Menschen, von denen man lernen kann.

Phyllis: Da kann ich mich anschliessen. Mein Chef ist 28 und ein extremes Vorbild. Neben seiner Intelligenz hat er ein funktionierendes Unternehmen auf die Beine gestellt.

Elly: Der Weg muss nicht perfekt sein. Für mich zeigen Vorbilder Verletzlichkeit und Authentizität. Ein gutes Beispiel ist die neuseeländische Premierministerin (mit Jahrgang 1980 gehört sie noch knapp zur GenY). Sie ist andere Wege gegangen und hat beispielsweise ihr Baby in die UN-Volksversammlung mitgebracht. Das sind so wichtige Bilder für unsere Gesellschaft. Authentizität war früher kein Thema, weil es mit Emotionen zu tun hat. Nach dem zweiten Weltkrieg ging es vielmehr um Aufbau und nicht um Gefühle. Themen wie Empathie-Fähigkeit waren nicht gefragt.

Thomas A. Biland: Was ist eure Idealvorstellung in Bezug auf die Vereinbarkeit von Privat und Geschäft?

Mauro: Früher ist man von der Realität in die Online-Welt geflüchtet, jetzt ist es umgekehrt. Wir müssen lernen, mit der Situation umzugehen. Ständige Erreichbarkeit ist eine schwierige Erwartung. Freizeit ist für meine Generation wichtig. Wir sind bereit, am Abend länger zu arbeiten, dafür beginnt man am nächsten Tag später.

Phyllis: Bei mir mischt sich das Private und Berufliche. Apéros mit Berufs-Kollegen finden am Abend oder auch mal am Wochenende statt, was für mich so absolut stimmt.

Elena: Wichtig ist mir, dass man auf meine persönlichen Bedürfnisse eingeht. Ich möchte respektiert werden.

Phyllis: Cool ist, wenn man auch mal um zwei Uhr shoppen gehen kann.

Elena: In den Bewerbungsprozessen musste ich mich oftmals rechtfertigen, weshalb ich 80% arbeiten möchte. Ich war sehr happy, als mein jetziger Arbeitgeber nicht eine Sekunde nachgefragt hat. Sie haben den Wert meines Engagements in einer NGO sofort gesehen.

Elly: Meines Erachtens nach handelt es sich nur um eine vermeintliche Vereinbarkeit. Der gesellschaftliche Druck scheint zu sagen: «Jetzt wo ihr die Gleichberechtigung habt, zeigt doch mal was ihr könnt!» Das Bild von Mauro gefällt mir sehr gut. Wir sollten die Flucht zurück in die Realität schaffen. Die Digitalisierung hat uns ursprünglich etwas ganz anderes versprochen: mehr Zeit für das Leben!

Thomas A. Biland: Gegenüber den früheren Generationen hat man heute mehr Mut, Dinge einzufordern. Ich erinnere mich an meinen Sohn, der meinte, er werde den Ausgleich zwischen Beruf und Privatem besser im Griff haben. Die heutige Jugend darf mehr fordern und hinterfragen.

THEMA 3 – ANSPRÜCHE DER JUNGEN GENERATION AN DIE FIRMEN: WOHIN BEWEGEN SIE DIE GESELLSCHAFT UND DEN MARKT IN ZUKUNFT?

Elena: Die Frage ist, was uns in 10 Jahren wichtig sein wird?

Mauro: Das ganze «Game» wird sich verändern, man wird Kompromisse eingehen müssen.

Phyllis: Es wird einfacher sein, als Mutter arbeiten zu können. Im Ingenieurbereich laufen wir hinterher, was teilweise auch verständlich ist: Unseren Rollstuhl können wir nicht zu Hause testen. Mir wären flexiblere Modelle wichtig. Zum Beispiel Kinder in eine Tagesstätte geben können, auch ausserhalb der Städte. Da muss noch viel mehr passieren. Ich hoffe, dass es in 10 Jahren ganz anders sein wird.

Elena: Zurzeit sprechen alle Unternehmen über Diversity. Das Versprochene sollte aber auch tatsächlich umgesetzt werden.

Phyllis: Zuletzt haben wir auf eine Position 40 Bewerbungen erhalten, keine Frau war darunter. Teilweise ist es auch schwierig gewisse Versprechen einzuhalten, die Macht ist begrenzt.

Elly: Dieses Argument ist mir bekannt. Dann muss man halt andere Wege für das Ansprechen einer bestimmten Zielgruppe finden.

Tomas A. Biland: Hat Corona etwas geändert?

Mauro: Vieles ist heute dezentral.

Elena: Die Anstellungen sind bei uns immer noch auf die Schweiz fokussiert, regional jedoch breiter gestreut. Sonst hat sich für mich nicht wirklich viel verändert.

Phyllis: Bei uns gibt es trotz Innovation noch nicht wirklich Homeoffice. Auch die Interviews sind physisch für den persönlichen Match.

Elly: Aus meiner Sicht hat sich unser Verhältnis zur Arbeit verändert. Nicht nur, wo wir arbeiten und wie wir kommunizieren. Viele wissen jetzt, was es bedeutet, den ganzen Tag zu Hause zu sein und was es zu tun gibt. Wir sprechen Missstände direkter an: Wie sind Gehälter entstanden, weshalb erhält das Pflegepersonal nur ein moralisches Klatschen, verdient aber nicht mehr. Strukturen sind deutlicher geworden und die Mehrheit versteht, dass nicht alles richtig läuft. Was die Präsenz anbelangt, ist die Frage nach der unverhandelbaren Zeit, bei der wir definitiv zusammen sein müssen, essentiell. Erreichbar sind wir sowieso mit unseren Laptops.

Schlussfrage: Welche Empfehlung würdet ihr den Firmen, den Chefs, den HR-Verantwortlichen mitgeben, damit sie mit den jüngeren Generationen in Zukunft besser umgehen können?

Elly: Viel mehr ausprobieren, testen, Learning mitnehmen, auf die menschliche Eben gehen.

Elena: Mitarbeiter im Betrieb halten, individuell auf die Leute zugehen, aufzeigen, wie man eine gemeinsame Entwicklung machen kann.

Mauro: Berufsbildung liegt mir am Herzen, mit Mitarbeitenden in Ausbildung auf längere Frist planen.

Phyllis: Zuhören, nachfragen, wie wir denken und was sich ändern kann. Inputs der Mitarbeitenden entgegennehmen, nicht immer nur nach unten kommunizieren.

Thomas A. Biland: Vielen herzlichen Dank für eure Teilnahme und den regen Austausch!

Was ist Ihre Wahrnehmung von den Ansprüchen der Generation X und Y auf dem Arbeitsmarkt?

Lassen Sie es uns in einem Kommentar wissen.