«Handelszeitung» / von Madeleine Stäubli-Roduner
Restrukturierungen Stellenabbau und Chefwechsel nehmen zu. Das hat nicht nur konjunkturelle Gründe.
Riet Grass ist wenig optimistisch. «Seit letztem Herbst wurde es im Personalbereich hektischer», sagt der Gründer der Zürcher Outplacement-Firma Grass & Partner. Dies habe sich schon vor Weihnachten gezeigt, als eine rekordhohe Zahl von Entlassungen ausgesprochen worden sei. «So etwas gab es in den früheren Jahren deutlich weniger», sagt er. Besserung ist gemäss dem Experten keine in Sicht. «Der Druck nimmt in den kommenden Wochen und Monaten noch zu», so Grass.
Bobst, Julius Bär, Cham Paper, Ruag oder Schweizer Börse – die Liste der Unternehmen, die seit Anfang Jahr einen Stellenabbau ankündigten, ist bereits lang. Dazu trägt die konjunkturelle Entwicklung massgeblich bei. Seit Mitte 2011 hat sich die Geschäftslage der Schweizer Unternehmen laut der ETH-Konjunkturforschungsstelle KOF verschlechtert.
Internationale Chefs
Nicht nur unten wird restrukturiert. Auch auf den Führungsetagen wird kräftig umgebaut. Das zeigt sich etwa bei Alstom Schweiz. Derzeit wechseln dort gleich mehrere Führungspositionen – der Länderchef, der Personalchef und der Kommunikationschef. Es ist ein Vorgang, den man in den letzten Monaten vielerorts beobachten konnte. Schuld ist hier ein anderer Faktor: Nach Ansicht der Zürcher Unternehmensberaterin Sabine Biland-Weckherlin liege das an den zunehmend internationalen Führungscrews, die «knallhart» umstrukturierten und Personal auswechselten. «Sie lassen jede Loyalität zum Standort Schweiz vermissen, da sie hier ja nicht verwurzelt sind.»
Daher würde ihren Strategien die Langfristigkeit fehlen. «Vieles ist austauschbar und kurzfristig angedacht geworden. Mit all diesen Wechseln gibt es zudem die Tendenz, dass jeder seiner Ära seinen entsprechenden Stempel aufsetzen will. A kommt, bewegt dies und geht wieder, B kommt, macht die Strategie von B rückgängig und geht wieder, C stellt nochmals alles auf den Kopf … Leidtragende dieser Hektik sind stets die Mitarbeitenden – jene, die bleiben, und jene, denen in Anbetracht der Restrukturierung, Umstrukturierung und Neupositionierung gekündigt wird», beklagt sich Biland-Weckherlin.
Auch Stefan Studer, Geschäftsführer Angestellte Schweiz, stellt fest: «Internationale Chefs nehmen keine Rücksichten auf lokale oder länderspezifische Kulturen. Sie denken und handeln global.» Er macht noch einen weiteren Faktor aus: Diesmal sei der Aktivismus durch das Unterangebot an freien Stellen und das Überangebot an Arbeitskräften ausgelöst worden. Letzteres werde zusätzlich gespeist durch Arbeitskräfte, die sich aus dem Ausland in der Schweiz anböten.
Als Phänomen sei personeller Aktivismus in Krisen indes nicht neu, bestätigen alle befragten Experten. Doch die Internationalisierung verschärfe diese Hektik deutlich. Berater Grass stellt fest, dass der Ton und die Art früher «viel moderater» waren. Inzwischen sei es ruppiger geworden. Genau daran stösst sich auch Biland-Weckherlin. In vielen Firmen fehle die personelle Beständigkeit, fast ständig werde reorganisiert und umstrukturiert. «Die Spitze wechselt die Leute auch im oberen Management fast beliebig aus, was alle Angestellten tief verunsichert.»
Diese hektischen Rochaden im oberen Management beobachtet auch Grass. Es gebe eben zu viele Manager und zu wenig Mitarbeitende. «In den ausführenden Chargen wurde schon immer bereinigt, aber oben gibt es noch sehr viel Luft», sagt der Personalexperte. Er glaubt nicht, dass es an der Wertschätzung vonseiten der Konzernspitze grundsätzlich fehlt, aber «der Druck bis in die höchsten Hierarchien ist deutlich grösser geworden».
Dafür mitverantwortlich ist laut Angestelltenvertreter Studer die Diskussion um Lohnexzesse und Boni. «Wenn neue Manager günstiger sind, kann das auch ein Grund sein, sie auszuwechseln», sagt er. Manager im mittleren Segment seien zudem in einer Sandwichposition und könnten dadurch aufgerieben werden.
Die aktuellen Konjunkturprobleme erhöhten nicht nur den Druck auf die Unternehmen und die Führungskräfte, sondern auch den psychologischen Druck auf jeden einzelnen Angestellten, sagt Studer. «Viele laufen am Limit, sind in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt oder bereits in ein Burn-out geraten.» Dies hält er in der Schweiz für besonders gefährlich, da das Land nur eine einzige Ressource habe, nämlich seine Arbeitskräfte.
«Viele machen die Faust im Sack»
Auch Beraterin Biland-Weckherlin beobachtet, dass sich die Unbeständigkeit im Personalbereich ungünstig auf das Arbeitsklima auswirkt. «Viele Angestellte machen die Faust im Sack», beobachtet sie. Dies kann laut Studer für Unternehmer hochgefährlich sein. Denn wenn der Trend auf dem Arbeitsmarkt wechsle, suchten sich viele Angestellte eine bessere Stelle, was die Unternehmen teuer zu stehen komme, da sie wieder neue Mitarbeitende suchen und den Verlust an Know-how kompensieren müssten.
Fahre man mit der Trennungskultur so fort, würden Angestellte frustriert und demotiviert, bedauert Studer. «Sie werden über das Unternehmen nicht positiv sprechen, was dem Image und dem Image des Unternehmens schadet.»