«Mach dir keine Sorgen» – und am nächsten Tag die Kündigung»
By Sabine Biland-Weckherlin für HR Today, Januar 2021
Entlassen zu werden ist nie schön – und es gibt auch keinen guten Zeitpunkt dafür. Aber es gibt einen weniger schlechten Moment und eine fairere Art und Weise, die Hiobsbotschaft auszusprechen.
Eine Kündigung zu erhalten, ist für die meisten Menschen ein Schock. Beim Schweizer Sorgentelefon, der «Dargebotenen Hand», haben die Anfragen suizidaler Männer von März bis November 2020 um 25 Prozent zugenommen. Ein häufiges Thema war dabei der Stellenverlust. (Quelle: Matthias Herren, Stellenleiter, Dargebotene Hand Kanton Zürich)
Mitarbeitenden ihre Kündigung mitzuteilen, gehört zu den heikelsten Führungsaufgaben. Entsprechend sorgfältig sollten Führungskräfte sich auf solche Gespräche vorbereiten. Auch, um den Trennungsprozess möglichst schmerzfrei zu gestalten – für alle Beteiligten.
Am allerwichtigsten bei einem Trennungsgespräch: Fairness, Achtung und Respekt. Wenn Employer Branding, dann bitte richtig – und zwar von der Anstellung bis zur Trennung. Ganz wichtig ist es, ausreichend Zeit für ein solches Gespräch einzuplanen.
Fehlt es an Respekt und Kommunikation, können auch wirtschaftliche Risiken für das Unternehmen entstehen: hohe Ausgaben für Juristen und Abfindungen, sinkende Leistungen und Motivation sowie Angst der anderen Mitarbeitenden um die eigene Stelle, Abgänge an die Konkurrenz oder Imageverlust als Arbeitgeber. Eine faire Trennung erspart hingegen unnötige Kosten und Ärger.
Wenn Vorgesetzte aus HR oder der Linie der Herausforderung einer fairen Kündigung nicht gewachsen sind, so qualifizieren sie sich meines Erachtens nicht als fähige Führungspersonen. Ein guter Chef beweist sich in der Krise und nicht beim Feierabendbier.
Wer spricht schon gerne eine Kündigung aus?
Kündigungen sind purer Stress – auch für Vorgesetzte. Die leider häufige Folge: Führungspersonen sprechen Kündigungen auf linkische, stillose und unsensible Art und Weise aus – in ungeschickten Worten, in Small Talk verfallend, um den heissen Brei herum oder mit schroffen Ansagen. Mindestens so unpassend ist es, wenn der Chef in Tränen ausbricht, weil die Trennung angeblich von «oben» verordnet wurde. Oder wenn er sich, wie im Fall eines erfahrenen Managers, aus purem schlechtem Gewissen in Rechtfertigungen und Darstellungen zur eigenen Befindlichkeit verfängt. Wo bleiben da bitte die Leadership-Skills?
Noch schlimmer ist es, wenn Führungspersonen ihre Verantwortung an eine Stellvertretung delegieren – das HR ist dafür naturgemäss prädestiniert. Dieses Weiterreichen der heissen Kartoffel ist eine unsägliche Tendenz und zeugt von fehlender Zivilcourage des Vorgesetzten. Wie sich eine Firma von Mitarbeitenden trennt, sagt viel über die Unternehmenskultur aus – mehr als jede «vergoldete» Website. Kündigen ist genauso Chefsache wie einstellen.
Doch wie funktioniert eine faire Kündigung? Auf die folgenden Punkte sollten Sie achten, um die schwierigste aller Führungsaufgaben fair zu meistern.
1. Jede Ansage ist besser als Unsicherheit
Vorgesetzte sollten ihre Mitarbeitenden nicht unterschätzen: Manch einer ahnt bereits etwas. Und nichts ist unangenehmer und verunsichernder als das Verharren im Schwebezustand negativer Gefühle, das Aushalten diffuser Misstöne, das leise Wahrnehmen von Unzufriedenheit.
Schlaflose Nächte und Stresssymptome aller Art sind die Folge. Von Stellensuchenden wird uns immer wieder zu Ohre getragen, wie misslich es ihnen im Vorfeld der Kündigung ging. Wenn dann endlich die Katze aus dem Sack gelassen wird, wirkt dies für die gekündigte Person oft erleichternd.
Ich plädiere daher für eine klare, zeitgerechte Ansage, um die betroffene Person aus der Unsicherheit zu befreien. Umso mehr, als dass auf dem Nährboden der Verunsicherung bekanntlich die meisten Fehler entstehen – was wiederum eine Bestätigung für das individuelle Scheitern und die Rechtfertigung der Kündigung ist.
2. Persönliches Gespräch
Viele Führungskräfte scheuen sich davor, Mitarbeitenden die Kündigung persönlich mitzuteilen. So hören wir immer wieder von Chefs, die im Kündigungsgespräch durch Abwesenheit glänzen. In HR-Fachkreisen wird ein solches Verhalten vehement verurteilt. Ein Trennungsgespräch sollte immer der direkte Vorgesetzte führen, allenfalls zur emotionalen Unterstützung und zu Zeugenzwecken im Tandem mit dem HR.
Selbst in Zeiten der Corona-bedingten physischen Distanz ist das persönliche Gespräch der bessere Weg, eine Kündigung auszusprechen. Die Herausforderungen bei einem virtuellen Trennungsgespräch sind gross, und zwar sowohl auf der psychosozialen als auch auf der organisatorischen Ebene.
3. Respekt
Ein Kandidat berichtet uns von der amerikanisch gefärbten Trennung, bei der er am Morgen ahnungslos ins Büro trat und nach 10-jähriger Firmenzugehörigkeit vom Sicherheitsdienst zum Verlassen des Büros aufgefordert und wie ein Schwerverbrecher zum Ausgang eskortiert wurde. Dabei konnte er sich nicht einmal von den teils langjährigen Kolleginnen und Kollegen verabschieden. Kein Wunder, dass eine solche Kündigung eine schwere Kränkung oder sogar eine traumatische Erfahrung bedeuten kann. Solch eine Demütigung sitzt noch jahrelang in den Knochen – wenn sie überhaupt je verblasst.
Begegnet der Arbeitgeber der Belegschaft ab Stunde null der Einstellung auf Augenhöhe, so wird auch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses eher in Anstand und Würde erfolgen. Anders als bei Unternehmen, die ihre Mitarbeitenden als Untergebene betrachten.
Ein sauberer, gut dokumentierter Prozess im Sinne einer mehrstufigen Abmahnung bis notfalls zur Zäsur sollte in jedem Unternehmen selbstverständlich sein. Klarheit, Direktheit und das Signal, dass man sich sehr wohl dafür interessiert, wie es der Gekündigte aufnimmt, sind ebenfalls Zeichen des Respekts. Kommen Sie auf den Punkt und bieten Sie unter Umständen ein Folgegespräch an. Deeskalierend sind auch Angebote für eine verlängerte Kündigungsfrist, Outplacement oder gar die Unterstützung einer Weiterbildung.
4. Zeitpunkt
Dass Kündigungen oft in den Ferien hinter dem Rücken der betroffenen Mitarbeitenden entschieden und vorbereitet werden, ist eine bedauerliche Tatsache. Ich selber weiss von einem Bekannten, der zwei Wochen angespannt am Strand verweilte und sich jeden Tag aufs Neue mit dem Horrorszenario des befürchteten Stellenverlusts beschäftigte. Braungebrannt zurück am Arbeitsplatz, wartete dann tatsächlich die Kündigung auf ihn.
Ebenso schieben Chefs Kündigungsgespräche gerne auf den Freitagnachmittag, vor einen Feiertag oder kurz vor der Fahrt zu einem Kundentermin. Das zeugt von Feigheit. Zudem ist eine solche Entlassung bei einem alleinstehenden Mitarbeitenden in einem Einzelhaushalt möglicherweise heikel.
Einige Firmen agieren vorbildlicher und achten darauf, dass Kündigungen auf einen Freitagmorgen vor dem regulären Wochenende gelegt werden. So können die betroffenen Personen notfalls rechtzeitig professionelle oder private Unterstützung beiziehen.
Gewisse Unternehmen machen es sich auch zur Regel, Ankündigungen von Reorganisationen auf anfangs Woche zu verlegen. Dies ermöglicht den Betroffenen, sich im gewohnten Arbeitssetting aufzufangen und kurzfristig Hilfe zu suchen.
5. Persönliche und gesellschaftliche Ereignisse
Von Grossunternehmen hört man leise Töne, dass wieder so etwas wie ein «Feiertagsmoratorium» entsteht. Doch gibt es immer wieder Firmen, die mit der Weihnachtspost die Kündigung versenden. Das ist brutal und ein absolutes No-Go, aber gut für die FTE-Bilanz (Vollzeitäquivalent). Ein Kunde erzählte uns von einer Mitarbeiterin, bei der die unausweichliche Trennung schon im Sommer bekannt war. Doch der Vorgesetzte wartete bis vor Weihnachten mit der Ankündigung. Empathie ist da wohl ein Fremdwort.
Ebenfalls zu beachten: Fällt ein Jubiläum oder der Geburtstag auf das Datum des Trennungsgesprächs? Wie ist die persönliche Situation des oder der Mitarbeitenden? Wer etwa gerade einen Kredit für eine grössere Anschaffung aufgenommen hat oder vielleicht noch Schulden abbezahlt, entwickelt womöglich Existenzängste. Dasselbe gilt bei Mitarbeitenden, die gerade Nachwuchs erwarten.
Auch ein schlechter Zeitpunkt: Die Kündigung wegen ungenügender Leistung kurz nach einer internen Beförderung, unter Umständen sogar in Kombination mit einer Lohnerhöhung. Oder, wie in einer Grossbank, am Vorabend des 50. Geburtstages, da dann die Kosten billiger sind als bei einer Person ab 50 Jahren.
Die individuelle Situation der zu kündigenden Person sowie gesellschaftliche Ereignisse und Feiertage sind zwingend in eine sorgfältige Gesprächsvorbereitung einzubeziehen. Ein Trennungsgespräch zu führen bedeutet, solche Umstände und daraus folgende Ängste zu antizipieren und gleichwohl das Gespräch konsequent zu führen.
Verheerende Folgen
Das Buch «Not Working: People Talk About Losing a Job and Finding Their Way in Today’s Changing Economy» geht unter die Haut. Der amerikanische Journalist DW Gibson hat in den USA rund 100 Arbeitslose quer durch alle Berufshierarchien, Geschlechter und Ethnien porträtiert – feinfühlig, aber unbeschönigt.
Aus der Buchlektüre von «Not Working» wie auch aus Schilderungen von Stellensuchenden hierzulande geht übereinstimmend hervor, dass nicht so sehr die Gründe der Kündigung schmerzen, sondern die Umstände der Entlassung – in erster Linie, wie und wann die Schreckensmeldung ausgesprochen wird.
Die Beispiele müssen nicht so dramatisch sein wie im Buch: Der Hypothekenmakler, der zur Arbeit kam und die Tür zu seinem Bürogebäude mit einem Vorhängeschloss verschlossen vorfand. Die Personalleiterin, die ein paar hundert Leute entliess, bevor sie selbst entlassen wurde. Der Mann, der zwei Wochen, nachdem seine Frau erfuhr, dass sie schwanger war, entlassen wurde. Eine Frau, die gezwungen war, ihren Ehemann zu entlassen. Auch in der Schweiz gibt es haarsträubende Vorgehensweisen. Der gesperrte Badge bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz. Die kryptischen Ansagen, bei denen die gekündigte Person gar nicht verstand, dass sie eben ihre Stelle verloren hat. Der Chef, der den ersten Tag des Lockdowns im Frühling zum Anlass nahm, um aus dem Ausland anzureisen und seinen Mitarbeiter bei einem fünfminütigen gemeinsamen Kaffee auf die Strasse zu stellen.
Ich empfehle die Lektüre von «Not Working» jeder Führungsperson wärmstens. Das Buch zeigt eindrücklich auf, welche nachhaltigen Folgen eine unprofessionelle Kündigung hat.
Sicher wäre ich einer der Ersten, der eines kaufen würde. Was? Wenn Sabine Biland-Weckherlin endlich ein Kompendium ihrer gesammelten Beiträge in Buchform herausgeben würde. Danke, ich freue mich schon.
Herzlichen Dank, lieber P.F., für das charmante Kompliment, das mich riesig freut! Und mich geradezu zu einem Buchprojekt motiviert! Herzliche Grüsse, Sabine Biland-Weckherlin