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So klappt es garantiert nicht: Eine Anleitung, wie Sie die besten Talente vergraulen

By Sabine Biland-Weckherlin für HR Today, April 2022

Manche Unternehmen haben noch nicht begriffen, dass sie die Fachkräfte, nach denen sie händeringend suchen, mit ihrem eigenen Verhalten wieder vertreiben. Als Beraterinnen und Berater erleben wir das immer wieder. Gerne teilen wir unseren Erfahrungsschatz: Hier sind die besten Tipps aus der Praxis, damit rare Fachkräfte ganz bestimmt nicht bei Ihnen arbeiten wollen.

«Es ist geradezu das Wesen der Fachkräfte, dass es einen Mangel gibt. Sie sind so knapp wie gute Lehrer, Managerinnen oder Verwaltungsräte», stellt Christoph Eisenring in seinem NZZ-Artikel «Das ewige Gejammer über den Fachkräftemangel» fest. Darum werden solche Talente besonders umgarnt und charmiert – könnte man meinen. Weit gefehlt, zeigt unser Berufsalltag. Manche Unternehmen scheinen den Ernst der Lage am Arbeitsmarkt (noch) nicht verinnerlicht zu haben.

Nachfolgend und abgeleitet aus unserer Praxis einige nicht ganz ernstgemeinte Empfehlungen an Arbeitgeber, wie es beim Gewinnen der raren Talente ganz bestimmt nicht funktioniert! Kleiner Tipp vorweg: Das Erste, was Sie verinnerlichen müssen, ist eine sture Grundhaltung. Zeigen Sie Kandidatinnen und Kandidaten gegenüber bloss keine Flexibilität, denn diese ist ein Eingeständnis von Schwäche und Ausdruck einer fehlenden Linie. Bleiben Sie immer auf Ihrem eingeschlagenen Kurs – koste es, was es wolle.

Regel Nummer 1: Salär

Halten Sie unter allen Umständen am definierten Maximalsalär fest und kommen Sie erst gar nicht auf die Idee, Ihre Lohnspanne grundsätzlich zu überdenken. Lassen Sie sich nicht beirren, wenn gute Kandidatinnen nicht zu finanziellen Abstrichen bereit sind – Sie sitzen am längeren Hebel.

Verzichten Sie stattdessen lieber konsequent auf diese unverschämten Bewerbenden, unabhängig vom Zeitdruck bei der Stellenbesetzung und davon, wie gering die Abweichung auch sein mag. Prinzip ist Prinzip.

Regel Nummer 2: Pensum

Die Stelle ist eine Vollzeitstelle. Punkt. Stellen Sie sich bloss mal vor: Wenn Sie für diesen Kandidaten eine Ausnahme machen, dann kommt bald die gesamte Belegschaft mit Teilzeitforderungen auf Sie zu – und ehe Sie es sich versehen, lottert Ihre ganze Firma auseinander.

Lassen Sie sich nicht von den Stimmen beeindrucken, die sagen, dass Teilzeitmitarbeitende motivierter und produktiver arbeiten – und ignorieren Sie Studien (zum Beispiel hier), die diese Tatsache belegen. Bleiben Sie also stur: So überzeugend die Favoritin für diese Stelle auch sein mag, ein 80-Prozent-Pensum gibt es nicht.

Regel Nummer 3: Arbeitsformen

Sie wollen Ihre Leute im Büro haben, damit Sie wissen, was diese den ganzen Tag tun. Klar geht es Ihnen nicht um Kontrolle, aber Ihnen liegt halt viel an einem geordneten Betrieb. Und der ist schlicht nicht möglich, wenn die Hälfte der Belegschaft im Homeoffice rumgammelt. Denn dann zerflattert das gesamte Teamgefüge und es bricht die Anarchie aus. Wir gratulieren! Sie haben offenbar verstanden, worauf es bei guter Führung ankommt.

Ignorieren Sie, wie gut Homeoffice während den Spitzenzeiten der Corona-Pandemie funktioniert hat. Ignorieren Sie die Trends und Entwicklungen der Arbeitswelt. Ignorieren Sie auch Nasen wie Stefan Camenzind (den berühmtesten Büro-Bauer der Schweiz), der in einem Interview mit der NZZ sagte, dass Homeoffice einfach eine Tatsache ist und dass die Unternehmen, die sich hier nicht anpassen, Mitarbeitende verlieren werden.

Also: Bei Ihnen gibt es KEIN Homeoffice. Nein, auch nicht einen Tag pro Woche. Pech für die Bewerberinnen und Bewerber, die sich hybride Arbeit wünschen.

Regel Nummer 4: Arbeitsbedingungen

In Ihrer Firma gibt es schon seit jeher die 45-Stunden-Woche und vier Wochen Ferien. Ausserdem legen Sie Wert auf flexible Präsenz bis um 20 Uhr, wenn es die Situation erfordert – und das kommt immer mal wieder vor. Auch über das Wochenende und in den Ferien sollen Ihre Leute erreichbar sein.

Wie bitte?! Das ist für die Bewerberin zu einschränkend? Dann ist sie eben die Falsche. Zeigen Sie ihr die Tür. Sie finden schon noch jemanden mit der richtigen Arbeitseinstellung!

Regel Nummer 5: Idealprofil

Stehen Sie in aller Offenheit dazu, dass Sie für die Assistentinnenstelle Männer ausschliessen, genauso wie Kandidatinnen unter 30 und über 50, dass Nicht-Schweizerinnen einfach nicht in Ihren Betrieb passen und dass Sie auf gar keinen Fall eine Assistentin wollen, die ihren vorherigen Job bereits nach einem Jahr verlassen hat, egal mit welcher Begründung. Für all das brauchen Sie sich weder zu erklären noch zu schämen. Weichen Sie Ihre Kriterien bloss nicht auf – schliesslich haben Sie ja Ihre einschlägigen Erfahrungen gemacht.

Regel Nummer 6: Zeit

Lassen Sie sich bei der Rekrutierung alle Zeit der Welt. Es ist doch klar, dass sich Bewerbungsgespräche über Wochen und Monate dahinziehen und mit immer neuen Terminen, Tests und Cases gespickt sind. Das gehört schliesslich zu einem fundierten, durchdachten Prozess. Unter Zeitdruck wurde noch nie ein guter Entscheid gefällt.

Lassen Sie sich nicht von Kandidatinnen hetzen, die sich angeblich bei einem anderen Arbeitgeber unter Zeitdruck befinden. Wer nicht will, hat gehabt – so einfach ist das!

Hier enden unsere augenzwinkernden Tipps. Was jetzt kommt, meinen wir ernst.

Bitte umdenken!

Manche Arbeitgeber scheinen in den Wind zu schlagen, was Christoph Eisenring in seinem Artikel über das Lamento des Fachkräftemangels ebenfalls feststellt: «Letztlich müssen sich aber die Firmen selbst anstrengen, um attraktiv zu bleiben.» Warum nur tun sie es nicht? Es entspräche doch dem gesunden Menschenverstand und den simplen Hebeln der Marktwirtschaft: Was rar ist, hat einen besonderen Wert. Und das gilt eben auch für Mitarbeitende … besonders für Mitarbeitende!

Denjenigen Arbeitgebern, die bisher nach unseren oben genannten sechs Tipps rekrutiert haben, raten wir dringend umzudenken. Der heutige Arbeitsmarkt ist ein hartes Pflaster – auch für fortschrittliche Arbeitgeber. Wer aber auf seinem eigenen sturen Kurs bleibt und keine Argumente, keine Anreize und keine strategischen Wettbewerbsvorteile vorzuweisen hat, wird einen hohen Preis bezahlen.

Es geht auch anders

Natürlich gibt es sie auch in unserem Beratungsalltag die einsichtigen, fortschrittlichen und grosszügigen Firmen. Da ist der Geschäftsführer, der seinem neuen Kadermitarbeiter salärmässig so weit entgegenkam, dass dieser jetzt mehr verdient als er selbst. Oder der CFO, der eigentlich eine Vollzeit-Assistentin suchte, sich dann aber für die beste Kandidatin mit einem 70-Prozent-Pensum entschied. Oder diejenigen Firmen, die ihren Mitarbeitenden weitgehende Selbstbestimmung punkto Arbeitsort zugestehen.

Unnötig festzustellen, dass die Rekrutierungsprozesse bei solchen Firmen ungleich schneller über die Bühne gehen, weil sie einfach die besseren Karten auf dem Arbeitsmarkt haben.

Wie lassen sich Talente noch weiter vergraulen? Lassen Sie es uns wissen in einem Kommentar.

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  • Beat Willi sagt:

    Wenn sie einen Bewerber für einen Tag ins Team einladen zum Probearbeiten und am Ende des Tages das Team fragen „würdet ihr den Bewerber einstellen?“ „Passt er zu euch?“ Das Team sagt geschlossen nein mit stichhaltiger Begründung, der Teamleiter sagt auch nein und gibt dies so ans HR weiter. Und was macht das HR? Stellt den Bewerber ein für eben dieses Team.